So schnell kann’s gehen: Gestern bin ich noch mit Handschuhen über einen 3.000 Meter hohen Pass gefahren, heute habe ich in der Wüste von Arizona bei 30 °C geschwitzt.
Stärkung für die lange Etappe
Belinda meinte es auch beim Frühstück sehr gut und hatte neben frischem Rührei auch griechischen Joghurt, Müsli, Frühstückskuchen, Blaubeeren und Kirschen aufgetischt. Sie und Dave, was man als Radfahrer auf einer langen Tour und besonders vor einer langen Etappe braucht. Schließlich sind die beiden selbst einmal durch die Staaten und sogar einmal durch Europa gereist. Gestern Abend hatten wir noch gemeinsam vor der Karte und auf Google Maps geguckt, wo es auf meiner heutigen Etappe Übernachtungsmöglichkeiten für mich gibt – dass ich Zelten werde, war mir ziemlich klar. Wir machten Dennehotso als einen möglichen Ort aus. Hier gäbe es vielleicht eine Kirche. Wichtiger war, dass der Ort ziemlich genau in der Mitte zwischen Dolores und Tuba City lag – und immer noch 160 Kilometer entfernt.
Auf zu Walmart
Nach dem Abspülen gab es noch ein Abschiedsfoto und ich machte mich auf den Weg nach Cortez, der letzten größeren Stadt für zwei Tage. Hier gab es noch einmal alles – und eben auch einen Walmart, bei dem ich mich für die Fahrt durch die Wüste eindecken wollte. Belinda hatte mich noch gewarnt, dass ich bei diesem Walmart lieber die Taschen vom Rad mit im Einkaufswagen in den Markt nehmen soll – sie habe schon einmal eine Story gehört, bei dem Sachen aus der Tasche geklaut wurden. Und immerhin sei das County, in dem Cortez liegt, das mit dem höchsten Armutsanteil des Staates. Ich ging also auf Nummer sicher und folgte ihrem Rat. Auch Daves Rat, nach bereits gekochtem Hühnchen in Tüten zu gucken, nahm ich mir zu Herzen – das landete direkt im Einkaufswagen. Zusammen mit Tortillas, Miracoli, getrockneten Cranberrys, Bananen, Müsliriegeln, ein paar Süßigkeiten, zwei Dosen Arizona (eine hatte ich noch in der Tasche), Brötchen und Honig sollte das an Vorräten erstmal reichen.
Beginn der roten Wüste
Nachdem auch die letzten Komplikationen beim Self-Checkout überstanden waren („Unexpected item in bagging area“, „Please place item in bagging area“ – ich kenne es noch zu gut aus London) und das Proviant in allen Taschen verstaut war, ging es endlich richtig los. Bis Cortez ging es recht steil bergab, so dass ich fast nur rollen musste – jetzt staunte ich über die zusätzlichen Kilogramm am Rad und hoffte inständig, dass die Speichen und die Kette das aushalten würde. Mit einem mulmigen Gefühl ging rollte ich wieder raus aus Cortez. Leider blieb es nicht ganz so steil, und es wechselten sich wieder leichte Auf- mit Abstiegen ab. Schon nach wenigen Minuten musste ich meine Arm- und Beinlinge loswerden, da es doch recht warm wurde. Und auch die Landschaft änderte sich jetzt schlagartig: Eben war ich noch inmitten bewaldeter Rockies, jetzt wuchsen um mir herum rote Felsformationen aus dem scheinbaren Flachland.
Im Reservat der Natives
Mit dem Eintritt in diese rote Wüste wagte ich auch der Eintritt in das Reservat der Natives. Einige Schilder wiesen immer wieder darauf hin, vor allem jene, die Touristen anlocken sollten. Doch sowohl der Info-Point als auch manche angekündigten Stände waren geschlossen, obwohl es Samstag war. Und dann auch noch langes Wochenende – schließlich feiern die Nordamerikaner am Montag Memorial Day. Das erklärte auch den regen Verkehr auf den Straßen. Obwohl ich mich mittlerweile im Niemandsland befand, fühlte ich mich keineswegs einsam. Als wäre ich in der Rush-Hour einer Stadt überholten mich ständig dicke Wohnmobile, Wohnwagen, Trucks und jede Menge Autos. Doch das verdarb mir nicht den Ausblick auf die fantastischen Felsformationen, die sich am Wegesrand zeigten. Fast mit jedem Kilometer und jedem kleineren Hügel änderte sich der Ausblick. Zwar kam mir die Gegend schon jetzt deutlich flacher und unzivilisierter als Kansas vor, doch spannender war es irgendwie trotzdem.
Eintritt für einen Grenzstein
Mein nächstes Ziel war das Four Corners Monument. Hier treffen die Grenzen von Utah, Colorado, New Mexico und Arizona aufeinander. Die Stelle war auch schon einmal Schauplatz in der Serie „Breaking Bad“, weshalb ich hier noch dringender hinwollte. Nach einer kurzen und steilen Abfahrt in ein Flusstal und einem ebenso steilen Anstieg erreichte ich dann den Abzweig. Ein großes Schild stellte sicher, dass man die „Sehenswürdigkeit“ auch bloß nicht übersieht. Abgesehen davon bog hier jedes zweite Fahrzeug, vor allem die Wohnmobile ab. Dass an diesem Samstag besonders viele Touristen hier sein würden, habe ich erwartet. Nicht gerechnet habe ich mit einem Eintrittspreis, den man bei der Einfahrt an einem Kassenhäuschen zahlen muss. Fünf Dollar pro Person – auch auf dem Rad.
Peinlich, peinlicher, Tourist
Da ich mittlerweile mit fast 80 Kilometern knapp die Hälfte meines Tagesziels geschafft hatte, nutzte ich die Gelegenheit auch gleich für ein Mittagessen. Zu Touri-Preisen gab es dann einen Navajo Taco – laut Schild typisches Gericht der Navajo-Natives. Anschließend ging es einmal durch alle vier Staaten – das war hier eine Sache von keiner Minute. Am tatsächlichen Grenzpunkt, an dem sich die ganzen Massen an Touristen sammelten, wollte ich dann auch ein Foto haben. Schließlich sollten sich die fünf Dollar Eintritt ausgezahlt machen. Also etwas abgewartet, bis sämtliche Familien ihre iPhones zum Glühen gebracht haben, und dann selbst kurz Touri gespielt. Ich blieb danach zwar noch einen Moment, um das Geschehen zu beobachten – dann wurde mir in der Sonne aber zu warm und ich wollte schnell zurück in den Fahrtwind.
Fluch der Natives?
Puncto Wind: Obwohl mir den ganzen Tag eine leichte Brise immer genau entgegenwehte, kam ich gut voran. Und ich fand den Gegenwind sogar praktisch: So gab es eine automatische Kühlung während der Fahrt. Teilweise hatte ich das Gefühl, sogar Anschub kriegen zu würden – aber das lag vielleicht auch an den Abstiegen. Die waren manchmal etwas tricky: Da sah es optisch so aus, als würde es bergab gehen – dabei ging es laut Garmin und auch laut meinen Beinen deutlich bergauf. Das gleiche Spiel gab es auch umgekehrt. Ein Fluch der Natives? Trotz der optischen Täuschungen und des leichten Gegenwindes verflogen die nächsten Kilometer sehr schnell und ich konnte meinen guten Schnitt halten. Mittlerweile hatte es sich auf ganz schön warme 30 °C erwärmt und meine Trinkvörräte gingen zur Neige.
Ortsnamen für eine Tankstelle
In Red Mesa, der nächsten etwas größeren Siedlung, wollte ich deshalb an einem Krankenhaus stoppen – die hätten sicherlich Wasser. Doch der leere Parkplatz ließ mich schon vermuten: Hier wird samstags nicht gearbeitet. Und tatsächlich: Alles dicht und auch kein Wasserhahn weit und breit. Also schnell die dritte Wasserflasche aus der Tasche geholt und die Trinkflaschen aufgefüllt. Dass ich bereits jetzt an die Vorräte ging, gefiel mir nicht – aber in Mexican Water, einem aus einer Tankstelle und einem angeschlossenen Restaurant bestehenden „Ort“, wurde mir glücklicherweise mit kaltem Wasser ausgeholfen. So konnte es wieder mit gutem Gefühl weitergehen.
Aus 160 Kilometern werden 200
Weit war es jetzt nicht mehr und pünktlich bei Kilometer 160 erreichte ich Dennehotso. Doch das stellte sich als recht breit gestreutes Dorf der Natives heraus – eine Kirche oder geschweige denn einen öffentlichen Platz gab es hier weit und breit nicht. Selbst wenn, dann wären diese wohl durch die paar Schotterpisten nur schwer zugänglich gewesen. Jetzt stand die große Frage im Raum: Trotzdem irgendwo fragen, ob man campen darf? Oder weiter nach Kayenta? Das wären immerhin noch weitere 40 Kilometer, ich würde also auf mehr als 200 Kilometer kommen. Eigentlich waren meine Beine schon recht müde. Aber in der Stadt gab es einen Eintrag auf Warmshowers – ein Mann, der einen Campingplatz anbot, aber betonte, am Wochenende meist nicht da zu sein. Ich schrieb ihn trotzdem an und überlegte mir, notfalls bei Burger King oder dem 24 Stunden geöffneten McDonalds nach einer Stelle zum Campen zu fragen.
Kein Schlafplatz in Kayenta
Die nächsten Kilometer verstrichen dann leider umso langsamer. Der Wind wehte zwischendurch plötzlich stärker und an den Anstiegen ging mir schnell die Puste aus. Von dem Warmshowers-Hos gab es leider keine Rückmeldung. Unterwegs checkte ich deshalb auch noch einmal Airbnb – doch wie erwartet gab es hier nichts. Laut Google Maps würde es drei Motels geben, und mit jedem gequälten Kilometer stieg in mir der Wunsch nach einem richtigen Bett. Als ich nach fast zwei anstrengenden Stunden endlich Kayenta erreichte, ging es deshalb erst einmal zu den Motels. Die sahen leider ganz schön teuer aus. „Glücklicherweise“ waren auch alle ausgebucht. Also erst einmal zu Burger King. Doch sowohl hier als auch beim McDonalds sah es nicht so aus, als dass man irgendwo dahinter versteckt campen würde. Ein Blick auf Google Maps gab mir dann ein neues Ziel: Eine „Rest Area“ etwa drei Kilometer raus aus dem Ort.
Zelten in der Wüste
Mittlerweile war es schon ganz schön spät und die Sonne eilte bereits Richtung Horizont. Als ich den öffentlichen Rastplatz dann endlich erreichte, suchte ich schnell nach einer geeigneten Stelle zum Zelten. Immerhin gab es hier zwei trockene Bäume, an denen ich mein Rad anlehnen konnte. Ansonsten bestand der Fleck auch nur aus Sträuchern und Schotter – und viel Müll, den andere anscheinend zurückgelassen hatten. Dafür war der Ausblick aus dem Zelt unbezahlbar, auch wenn der dicht befahrene Highway nur wenige Meter entfernt ist. Kaum stand das Zelt, holte ich meine Vorräte raus und schmiss den Kocher an. Ich freute mich wahnsinnig auf meine Spaghetti mit Tomatensauce. Das Wasser kochte bereits nach wenigen Minuten, dann schnell die passenderweise recht kurzen Spaghetti rein.
Kein Dosenöffner, keine Tomatensauce
Der Topf war jetzt bereits schon ziemlich voll, und die Sauce wollte ich eigentlich direkt nach dem Kochen der Nudeln in dem Becher zusammenmixen. Doch ich stand vor einem Problem: Die Dose mit Tomatenpaste, die man für das Fertiggericht brauchte, hatte keinen per Hand zu öffnenden Deckel. Und einen Dosenöffner habe ich nicht. Mit Mühe und Not versuchte ich, mit meinem kleinen Taschenmesser die Dose zu öffnen – vergeblich. Leider brach bei einem weiteren Versuch auch mein Multifunktions-Besteck. Am Ende gab es deshalb Nudeln pur. Da fiel mir ein: Ich hatte seit New York City noch Ketchup von „Wendy’s“ in der Tasche. Also war wenigstens ein kleiner Teil der Spaghetti mit etwas Geschmack. Satt war ich am Ende trotzdem.
Essen nie im Zelt lassen
Noch bevor ich aufessen konnte, verschwand die Sonne am Horizont und es wurde dunkel. Also schnell die letzten Happen in den Magen transportiert und dann fix alles abgewaschen und den Müll und die restlichen Essensvorräte wieder gut in die Tasche verpackt. Und die habe ich, auch dank eines Tipps von Dave und Belinda, wieder ans Rad gepackt. Denn falls Waschbären oder andere hungrige Tiere von meinem Essen angelockt werden, kommen sie so wenigstens nicht ins Zelt. Waschbären können da sehr rafiniert sein – bei einem weiblichen Warmshowers-Gast haben sie mal das Zelt mit ihren Krallen aufgeschnitzt und sich alle Vorräte geklaut – sie war zum Glück gerade nicht im Zelt. Das war aber anschließend unbrauchbar und das Essen weg. Ich will mir so ein Erlebnis ersparen, aber gleichzeitig bin ich auch etwas nervös wegen der wilden Tiere. Da hier aber auch jetzt noch ständig Autos herfahren, fühle ich mich nicht ganz so allein hier in der Wüste. Und jetzt fallen mir auch die Augen zu. Nach am Ende 210 Kilometern bin ich im Eimer. Dafür stehen morgen nur noch knapp 110 Kilometer bis Tuba City an – die gehe ich dann ganz entspannt an.
Die Etappe auf Strava