Auf 100 Kilometern können doch ziemlich viele Sachen passieren – besonders in den Rockies. Vor allem das Wetter kann sich rapide ändern. Das habe ich heute am eigenen Leib erfahren müssen.
Riesiges Frühstück
Die Nacht in der Wohnung in Montrose verlief unspektakulär, und so machte ich mich heute Morgen recht früh wieder auf den Weg. Mein erster Anlaufpunkt war aber nur wenige Minuten entfernt: „Denny’s“. Das hatte mir mein Kollege Basti bereits empfohlen, und so wollte ich die Fast-Food-Kette doch auch mal für ein großzügiges Frühstück ausnutzen. Immerhin sollte es heute über ein paar Anstiege gehen, dafür musste noch etwas Stärkung her. Auf dem Menü sahen die Teller so klein aus, und deshalb bestellte ich mir neben einem Pancake-Breakfast auch noch Oatmeal mit. Als die Kellnerin dann alles herbalancierte, war ich doch etwas überrascht. Aber ich habe fast alles geschafft! Anschließend ging es noch fix zu einem Sportgeschäft, wo ich mir mit Ausblick auf die heißen Quellen in Rico eine Badehose gekauft habe.
Wenn die Kühe wild werden
Jetzt ging es aber wirklich los. Bis Ridgway folgte ich jetzt der Route 550, die glücklicherweise immer nur angenehme 1-2% bergauf ging. Gleichzeitig hatte ich endlich mal Glück mit dem Wind, der entweder leicht von hinten oder gar nicht wehte. Lieber kein Wind als Gegenwind. So vergingen die ersten 40 Kilometer bis zum Abzweig auch ziemlich schnell – immer mit Ausblick auf die mit Schnee bedeckten Bergspitzen. In Ridgway ging es dann auf den etwas weniger befahrenen Highway 62 ab. Und schon kurz nach dem Abbiegen ging es plötzlich um einiges steiler bergauf. Und schien in Ridgway noch die Sonne, so änderte sich das Wetter binnen Kilometern plötzlich: Es wurde dunkel und die Kühe fingen eigenartig laut an zu muhen und rannten wild auf ihrer Wiese umher. Der Grund wurde mir nur wenige Sekunden später klar: Es fing an zu hageln und gleichzeitig blitzte und donnerte es über mir.
Durch Hagel und Kälte
Also schnell das Regencape herausgeholt, während sich schon die erste Schicht Eis auf meinem Bein gebildet hatte. Es wollte aber auch nicht so richtig – und als das Cape nach ein paar Minuten herumfriemeln dann endlich saß, hörte es natürlich sofort wieder auf. Also Cape wieder aus, denn für ein paar Kilometer wehte mir jetzt tatsächlich kurz Gegenwind entgegen. Ab und an kam dann nochmal ein kleiner Nieselschauer, aber das war auch ohne Regencape erträglich. Nur die plötzlich einsetzende Kälte überraschte mich etwas. Das Garmin zeigte 5 °C – die wohl bisher kälteste Temperatur auf der Tour. Also schnell die Handschuhe raus und angezogen.
Ein weiterer Solo-Fernradfahrer
Der restliche Anstieg wurde dann doch wieder etwas besser. Sogar die Sonne kam wieder raus und motivierte noch einmal, auf den letzten Metern Gas zu geben. Oben angekommen, realisierte ich dann, dass es jetzt für die nächsten 20 Kilometer nur bergab gehen würde – und das sogar recht steil. Vorfreude machte sich breit. Und die war nicht unbegründet: Mit etwa 50 km/h ließ es sich sehr angenehm vorankommen. Kurz vorm Ende der Abfahrt kam mir ein anderer Fernradfahrer entgegen – ich hielt direkt an und wir kamen ins Gespräch. Eugene schien ebenfalls in meinem Alter und radelt ebenfalls meine Strecke ab – nur umgekehrt. Wir gaben uns gegenseitig ein paar Tipps für die jeweils vorliegenden Etappen, bevor ich mich wieder bergab stürzte. Nur sah das Ende der Abfahrt leider gar nicht gut aus. Keinen Kilometer später musste das Regencape wieder her.
Erst kommt der Regen, dann der Schnee
Am Ende der Abfahrt bog ich nach Osten ab, um auf den Lizard Head Pass zu gelangen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass es direkt wieder steil berghoch geht, doch die ersten Kilometer streckten sich wieder recht flach. Der größere Feind waren jetzt die Autos, die mir von der sehr nassen Straße mit gut gefüllten Spurrillen immer wieder Wasser von unten an die Beine spritzten. Da nützte auch das Regencape nichts. Mal regnete es etwas weniger, mal wieder etwas mehr. Irgendwann hatte es sich gut eingeregnet und die Tropfen wurden dicker. Gleichzeitig wurde es mit steigender Höhe auch wieder kälter – ab einem gewissen Punkt machte ich wieder Hagelkörner und sogar Schneeflocken zwischen dem Regen aus. Und als hätte Petrus plötzlich einen Schalter umgelegt kamen statt Regen und Hagel plötzlich nur noch dicke Schneeflocken vom Himmel, die nicht nur auf mir, sondern auch auf den Autos und der Straße liegen blieben.
Rettung aus dem Schneesturm
Mit Schnee hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet – es war Ende Mai. Aber gut – Augen zu und durch, dachte ich mir. Doch dank der Nässe wurde mein ganzer Körper immer kälter, während der Schnee immer stärker wurde. Irgendwann konnte man nicht mal mehr richtig etwas sehen. Die nächste Kreuzung müsste gleich kommen, und ich machte mir folgenden Plan: Steht auf dem Schild, dass Rico weniger als 20 Meilen weg ist, bleibt das mein Tagesziel. Sind es mehr Meilen, fahre ich geradeaus in die Sackgasse nach Telluride hinein, da müsste es bestimmt ein Motel oder so geben. Doch soweit kam ich gar nicht mehr. Kurz vor der Kreuzung hielt ein Autofahrer an und rief mir etwas zu. Ich fuhr zu ihm rüber und er fragte mich, ob ich mir das wirklich antun möchte – und bot an, mich schnell nach Telluride zu fahren. Also Rad schnell auf seinen Heck-Gepäckträger und mitsamt Taschen schnell raus aus dem nassen Schnee ins Auto.
Warmshowers-Suche in schicker Hotel-Lobby
Zach, wie er sich vorstellte, kam gerade erst von einem zweimonatigen Europa-Trip zurück. Er selbst wohnt in Mountain Village, weshalb er dann spontan entschied, mich dahin zu bringen. Er fuhr mich einmal kurz durch den Ort, um mir alles zu zeigen, und setzte mich dann bei einem schicken Hotel ab, damit ich mich in der Lobby aufwärmen und das Internet nutzen kann. Er bot mir auch an, dass wenn ich keine Unterkunft finde, er noch Platz auf dem Sofa hätte. Wieder einmal war ich von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begeistert. Während Zach sich wieder auf den Weg machte, suchte ich bei Warmshowers nach einer Bleibe für die Nacht. Die ganzen Ski-Resorts hier waren mir nämlich etwas zu teuer. Und tatsächlich gab es sowohl in Mountain Village als auch im benachbarten Telluride einige Hosts. Nur ein paar SMS und iMessages später hatte ich tatsächlich eine Unterkunft bei Max in Telluride gefunden. Jetzt stand nur ein Abenteuer an: Da musste ich erst einmal hinkommen.
Mit dem Fahrrad an der Gondel
Zach hatte mir bei der kleinen Ortsdurchfahrt die Gondel gezeigt, die zufälligerweise seit heute wieder fuhr – ironischerweise in der Sommersaison. Es ging also wieder raus ins Nasskalte, um ein kurzes Stück Richtung Zentrum des Ortes zu radeln. Dort gab es auch die Gondelstation. Kostenlos kann man dieses Verkehrsmittel hier zwischen Mountain Village und Telluride benutzen – das kam mir natürlich sehr gelegen. Kaum war ich in der Station, half mir auch schon ein Mitarbeiter, das Rad auf einen außen an der Kabine angebrachten Fahrradhalter zu heben. Meine Taschen nahm ich mit in die Gondel, die übrigens die gleichen sind, wie in St. Valentin in Südtirol, wo wir mit der Familie immer Skifahren waren. Das machte die ganze Situation noch besser. Ich freute mich wie ein Kleinkind und konnte es gar nicht so richtig glauben, gerade quasi in einem Skigebiet mit einer Gondel zu fahren. Und dann auch noch mit meinem Fahrrad im Gepäck. Ich hätte nicht erwartet, dass ich das dieses Jahr nochmal machen würde – und so genoss ich das Geräusch, das die Kabine beim Überfahren der Rollen auf den Stützen machte. Ein schönes Flashback zum Skiurlaub.
Ein Bett im Kinderzimmer
An der Talstation angekommen wurde mir direkt wieder beim geholfen. Jetzt musste ich nur noch zum Fahrradgeschäft, wo ich mich mit meinem Host Max verabredet hatte. Ich traf ihn auch direkt in der Werkstatt, er hatte aber noch einen Kunden. Während ich etwas durch den Laden bummelte, traf seine Frau Hillary ein, die ihm etwas zu Essen vorbei brachte. Sie begrüßte mich sofort und meinte, ich könne ihr doch schon einmal direkt folgen. So fuhr sie mit dem Auto vor und ich mit dem Rad hinterher – keine zwei Blöcke entfernt waren wir auch schon am Ziel. Sie zeigte mir schnell mein Bett für die Nacht – das Zimmer der Tochter, die gerade auf Klassenfahrt ist – und musste dann noch einmal schnell los.
Abendessen mit Panorama
Als ich mich mit einer warmen Dusche wieder aufgewärmt hatte und Hillary und Max zurückkamen, weihten sie mich noch in den Plan für den Abend ein: Aktuell ist in der Stadt ein Filmfestival und auf einem Berg in der Nähe war ein kleines Fest unter freiem Himmel, bei dem es auch Abendessen gab. Mit warmer Kleidung von Max ausgestattet fuhren wir dann dorthin – Max übrigens nicht im Auto, sondern mit dem MTB – und ich genoss das kostenlose Abendessen vor atemberaubender Bergkulisse. Wieder einmal hatte mich der Zufall zu so tollen Ereignissen gebracht. Rico mit seinen warmen Quellen steht dann morgen Mittag an – nachdem ich den Pass überquert habe. Und in Dolores, wo ich für morgen ja bereits eine Unterkunft organisiert hatte, soll es auch wieder warm sein.
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