Nach fünf Nächten am Grand Canyon hieß es heute, endlich wieder weiterzukommen. Auf der Strecke lag heute auch das erste Mal offiziell eine Interstate – die amerikanische Autobahn.
Mit Handschuhen aus dem Nationalpark
Was für ein tolles Gefühl, endlich wieder im Sattel zu sitzen – das war der erste Gedanke, der mir heute morgen durch den Kopf ging. Wie geplant ging es um kurz nach fünf in der morgendlichen Frische aufs Rad, nachdem ich noch einmal das Waschbecken am Campingplatz ausgenutzt hatte. Bei kühlen zwölf Grad ließ es sich angenehm trotz kurzer Hose und Trikot aus dem Grand Canyon Village herausrollen. Doch sobald ich dieses Fleckchen an Zivilisation hinter mir ließ, sanken die Temperaturen plötzlich rapide. Als ich den Nationalpark und den anschließenden State Forest nach einigen Kilometern komplett verließ und wieder in der Steppe war, half nichts mehr: Neben der Windjacke mussten sogar die Handschuhe her. Bei knapp vier Grad Celsius ziehe ich mir normalerweise eine lange Hose und auch noch etwas darunter an, um Erfrierungen zu vermeiden.
Und plötzlich wieder warm
Mittlerweile stieg die Sonne immer weiter und erwärmte nicht nur meine linke Körperhälfte. Als ich nach etwa 40 Kilometern das Bergabfahren wieder gegen hügelige und knackige Anstiege tauschen mussten, kamen Handschuhe und Jacke ab. Um sieben Uhr waren es bereits wieder 20 °C, nur eine halbe Stunde später 25 °C und nicht lange nach acht Uhr knackte der Tag schon wieder die 30 °C-Grenze. Schwitzend und erschöpft von den ganzen Anstiegen erreichte ich endlich Williams, wo ich beim Saveway nicht nur meine Vorräte aufstockte, sondern auch eine Frühstückspause einlegte. Der Supermarkt ließ mich in dem Glauben, ich sei wieder in der Heimat: Ich hörte fast nur Deutsch um mich herum. Als ich gerade vor dem Laden saß und meine Laugenbrötchen mit Nutella genoss, kam gerade eine Deutsche Touristin aus dem Markt. Sie sah mein Rad und hielt meine lippische Flagge erst für die Deutsche Fahne, doch ich klärte sie schnell auf. Wie sich herausstellte, kam sie sogar aus Berlin.
Das erste Mal Interstate
Kurz hinter Williams war es dann soweit: Für die nächsten 35 Kilometer würde ich auf der Interstate fahren müssen – es gibt keine Alternative. Aufgeregt googelte ich vorher noch einmal, ob ich das wirklich darf. Aber ja: Im Gesetz steht: Solange keine Alternative Route vorhanden ist, dürfen Fahrräder auf der Shoulder einer Interstate fahren. Und das sei laut diversen Rad-Foren sogar ganz angenehm und sicher. Am Ende sagte mir sogar mein Garmin, dass ich das darf. Also nichts wie rein in das Gefecht. Und: Es fuhr sich tatsächlich sehr gut! Glücklicherweise ging es die meiste Zeit der Strecke bergab, so dass ich mich auch trotz Rad wie auf der Autobahn fühlte. Die einzigen aufregenden Punkte waren die Auf- und Abfahrten, an denen man etwas aufpassen muss.
Wind und Hitze
Zu meinem Übel merkte ich hier aber auch, dass der Wind plötzlich stark von vorne wehte. Aus dem angesagten Nordost-Wind wurde doch ein Südwest-Wind – und der bremste mich jetzt wieder gut aus. Erst einmal machte mir das nicht sonderlich viel aus, da es dank Abfahrten von 6% trotzdem schnell voran ging. Doch sobald die Strecke flach wurde oder leicht anstieg, ging es nur mühsam vorwärts. Jetzt machte sich auch die Hitze bemerkbar, die Temperaturen knabberten mittlerweile an der 40 °C-Marke. Zu sehr wollte ich mich also nicht über den Wind beschweren, der immerhin etwas Abkühlung brachte.
Auf der Route 66
Wie bereits beschrieben darf man offiziell nur auf den Interstates fahren, solange es keine Alternative gibt. Die kam dann aber hinter Ash Fork in Form der „Historical Route 66“ – also einem noch alten Abschnitt der sagenumwobenen Route, die sonst offiziell der ausgebauten Interstate gewichen ist. Hier bog ich also ab – auch, um mal wieder etwas Ruhe zu haben. Die Straße war zwar schön leer, aber ansonsten ein ganz normaler Highway. An manchen Stellen wiesen Schilder auf die Besonderheit der Straße hin. Mittlerweile machten mir die Hitze und der Gegenwind aber immer mehr zu schaffen und ich suchte erst einmal einen Schattenplatz – gar nicht so einfach, da es kaum Bäume gab.
Suche nach einem Schatten spendenden Baum
Irgendwann fand ich endlich einen kleinen, aber genug Schatten spendenden Baum, an dem ich mich erst einmal eine ganze Weile ausruhte, meine Wasserflaschen nachfüllte und die Heimat updatete. Genervt von vielen Fliegen, die hier anscheinend auch etwas Abkühlung suchten, ging es dann irgendwann zurück in die heiße Mittagshitze. Eine weitere Schattenpause, vielen Quälereien und viel Schweiß später erreichte ich dann endlich den letzten Anstieg des Tages. Bis Seligman ging es jetzt fast nur noch bergab – fast! Mein Höhenprofil von gpsies hatte mich betrogen. Zwei Anstiege musste ich noch kämpfen, ehe ich endlich den bereits reservierten Campingplatz erreichte.
Campingplatz mit Pool
Die Klimaanlage im Büro (und gleichzeitig Shop) des Platzes war ein wahrer Segen. Nach dem Check-In suchte ich mir den so gut wie einzigen Platz im Schatten, den ein mickriger Baum spendete. Aber: Der Campingplatz ist ansonsten sehr gut ausgestattet, mit sehr sauberen Sanitäranlagen, schnellem W-Lan (!) und sogar einem Pool (!!!), den ich später auch noch definitiv ausnutzen werde. Jetzt sitze ich gerade erst einmal im Schatten, bevor ich gleich noch einmal ins Dorf zu einem Laden fahren will. Die für morgen geplante Etappe über die alte Route 66 verläuft größtenteils durchs Nirwana und auf die paar kleinen Ortschaften will ich mich nicht verlassen. Zwar hat mir die Campingplatz-Frau schon gesagt, dass unterwegs ein paar Tankstellen kommen – aber man weiß ja nie. Also brauche ich zur Sicherheit noch eine weitere Flasche Wasser. Da es heute bereits so früh sehr unerträglich heiß wurde, will ich morgen wohl noch etwas eher aufbrechen. Nur Handschuhe brauche ich dann nicht mehr – so sehr kühlt es hier nicht mehr ab.
Die Etappe auf Strava