Der Wind macht auch, was er will: Zuerst beschenkte er mich die ersten 100 Kilometer mit angenehmen Rückenwind, ehe er mir die zweite Hälfte auf der Route 66 zur nicht endenden Qual machte.
Schwitzige Nacht
Obwohl ich nur das Innenzelt aufgebaut hatte und die immer stärker werdenden Windböen ordentlich für Durchzug sorgten, wurde es einfach nicht kälter. Selbst der Wind hatte immer noch eine Temperatur von über 30 °C und wirkte eher wie eine Heizung. Dadurch wurde es im Zelt schnell sehr kuschelig. Sobald sich zwei Körperteile auch nur minimal berührten, fing ich an dieser Stelle an zu schwitzen. An Schlafen war kaum zu denken. Erst als es nach einige Zeit plötzlich anfing zu Regnen – ich hatte das Zelt glücklicherweise unter dem Dach aufgebaut – kühlte die Luft langsam etwas ab. Ironischerweise gingen kurze Zeit später auch die Sprinkleranlagen für den Rasen an. Auch hier hatte ich Glück und blieb trocken – ich zeltete ja auf Beton.
Schreckliche Nachrichten
Als ich von den Sprinklern aus meinem Halbschlaf gerissen wurde, guckte ich kurz auf mein Handy und erhielt eine schreckliche Nachricht. Christina Grimmie, eine meiner Lieblingssängerinnen und genau so alt wie ich, wurde nach einem Konzert in Florida von einem Verrückten mit einer Waffe erschossen und überlebte den Angriff nicht. Plötzlich war ich hellwach und an Schlaf war in der Nacht eh nicht mehr zu denken. Neben dem Fakt, dass mich diese Nachricht unfassbar traurig und sprachlos machte, schwebten mir zwei große Dinge durch den Kopf: Als es um die Grundidee meiner Tour ging, meinte mein Vater immer nur zu mir, was ich denn in den USA wolle – „schließlich hat dort jeder eine Waffe.“ Ich scherzte häufig darüber, doch jetzt wurde mir bewusst, wie Recht er doch hatte und ich hinterfragte die Waffengesetze hierzulande aus einem anderen Blickwinkel. Daneben war das Konzert von Christina eins der Highlights, auf dass ich seit einigen Wochen hinarbeite – das Ticket für L.A. war bereits gekauft. Ich kann immer noch nicht ganz verstehen, was da passiert ist, und es macht mich unendlich traurig.
Ein Platten kommt selten allein
So richtig konzentrieren konnte ich mich die Fahrt heute deshalb meistens nicht. Doch selbst mit der größten Aufmerksamkeit hätte man die Heftklammer, die dann plötzlich für einen lauten Knall am Hinterreifen sorgte, nicht sehen können. Mein erster Platten seit Pennsylvania! Als ich das Hinterrad in meinen Händen hielt, wurde mir auch schnell klar, wie so ein kleines Stück Metall für einen Platten sorgen konnte. Der Mantel war mittlerweile so abgenutzt, dass schon die grüne Dichtmasse durchguckte – vom eigentlichen Gummi geschweige denn vom Profil war nichts mehr zu sehen. Naiv wie ich war wechselte ich einfach den Schlauch und fuhr weiter – doch keine 100 Meter später verlor der Reifen wieder Luft. Wieder war eine Heftklammer Schuld. Jetzt wollte ich kein Risiko mehr eingehen und wechselte die Mäntel von Vorder- und Hinterrad. Da der Vorderreifen kaum belastet wird, war der Mantel kaum abgenutzt – und der abgefahrene Mantel wird hier weniger Plattenanfällig sein.
Wettrennen mit dem Zug
Mit frisch aufgepumpten Reifen rollte es sich auf der Interstate auch gleich viel schneller weiter. Doch zusätzlich merkte ich, dass ich auch unerwarteter Weise Unterstützung vom Wind bekam. Mit einem guten Schnitt rollte ich daher sogar die Anstiege hinauf, ehe ich die Autobahn dann bei Tageskilometer 66 verließ und auf eine direkt parallel verlaufende Straße wechselte. Hier lieferte ich mir dann noch ein Wettrennen mit einem Güterzug, der mich zuerst überholte, dann aber abbremste. Auf dem Zug selbst entdeckte ich einen blinden Passagier, der sich auf einem der Güterwagen versteckt hatte, mir aber fröhlich zuwinkte. Viel cooler war allerdings der Lokführer, der mich auch noch einmal gezielt anhupte und mir meine Laune merklich verbesserte. Die einfachen Dinge!
Zurück auf der Route 66
Irgendwann erreichte ich dann eine Siedlung, in der fast jedes zweite Haus verlassen schien. Dafür sorgten die Cops und die Feuerwehrleute des Ortes am einzigen noch geöffneten Restaurant für eine schöne Lichtshow: Mit allen nur möglichen Blinklichtern versuchten sie, die Aufmerksamkeit auf ihre Infostände zu lenken. Ein paar Kilometer weiter sah ich dann hunderte von Militärautos auf einem Militärgelände stehen – alle fein säuberlich in Reihen geparkt. Nach einem Abzweig erreichte ich dann endlich wieder die Route 66, die ich vor Las Vegas ja verlassen hatte. Nun war ich zurück – und düste mit Rückenwind in Richung Barstow. Vorher nutzte ich für ein kurzes Stück auch noch einmal die I-40 – wir erinnern uns: Meine erste bewusst befahrene Autobahn.
Mittagessen im Speisewagen
In Barstow selbst hielt ich dann an dem ehemaligen Bahnhof an, der zu einem riesigen Rasthof umgebaut wurde. Neben allen möglichen Fast-Food-Ketten bot die außergewöhnliche Location auch Sitzplätze in ausrangierten Eisenbahnwaggons. Ich wollte heute mal wieder etwas neues ausprobieren und entschied mich für „Panda Express“, wo es „asiatische“ Gerichte in Fast-Food-Manier gab. Mit einem sehr vollen Bauch ging es anschließend zurück aufs Rad.
Wenn der Wind mal wieder dreht
Zwar hatte ich die ersten Kilometer weiterhin noch Rückenwind, doch mit einigen zusätzlichen Kilogramm im Magen rollte es sich nur schwer wieder an. Daneben war der Anschub von hinten nur noch ein kurzes Vergnügen – davor hatte mich der Wetterbericht aber schon gewarnt. Ziemlich schnell schlug der Wind dann von dem angenehmen Ostwind auf einen harten und stark böigen Südwestwind um – und pustete mir fortan direkt ins Gesicht. Und wie der Wind blies. Ich musste wieder in den kleinsten Gang schalten, um überhaupt voranzukommen – und dann auch nur im Schleichtempo von knapp 10 km/h.
Im kleinsten Gang gegen den Wind
Von jetzt an war die Route 66 wieder mein Feind. Das ständige Auf- und ab machten das Fahren im direkten Wind nicht einfacher. Dazu kamen schlechte Straßenbeläge (selbst der angeblich frische Belag ließ sich außerordentlich schlecht befahren) und eine enge Fahrbahn ohne Schulter, so dass die Autos ebenfalls ständig eine Gefahr waren. Die Zeit verging so gar nicht. Ich legte teilweise wieder alle zwei Kilometer eine Pause ein, nur um durchzukalkulieren, wie weit und wie lange ich mir diese Qual noch antun muss. Zwischendurch wehte mir sogar – wie im Film – ein trockener Strauchbüschel entgegen. Ansonsten waren das meist nur Blätter oder ganz viel Sand.
Ein Ende der Qualen in Sicht
Nach einigen Stunden Widerstand und vielen Gedanken, jetzt einfach per Anhalter weiterzufahren, konnte ich endlich etwas entspannen. Die Strecke bog etwas mehr nach Osten ab und aus dem Gegen- wurde ein Seitenwind. Dazu schützten mich teilweise Häuser vor dem Wind. Für das Stück von Barstow zu meinem Zielort brauchte ich am Ende fast länger als für die ersten 105 Kilometer. Wenigstens auf den letzten Kilometern konnte ich jetzt noch einmal etwas schneller werden und schaffte es bis nach Victorville. Kaum über eine Brücke und einen kurzen Anstieg, erreichte ich auf der anderen Seite des Berges auch direkt Apple Valley. Hier guckte ich beim lokalen Fahrradladen noch vergeblich nach neuen Marahon-Mänteln, um danach noch schnell zu Walmart zu fahren. Anschließend ging es direkt zu meinem Host, der zwar noch nicht da war, mir aber von einem Bewohner die Garage geöffnet wurde. Als Ed später auch erschien, lud er mich und den Bewohner noch auf ein Abendessen bei einem Burgerö-Restaurant ein.
Die Etappe auf Strava