Die heutige Etappe war einerseits landschaftlich eine der bisher schönsten – vom Wind und von der Anstrengung her aber definitiv eine der anstrengensten. Meine Beine waren am Ende wortwörtlich leer.
Endlich wieder ein Bike-Trail
Ich bin wahnsinnig froh, zwei Nächte in Colorado Springs bleiben zu können. Nach dem heutigen Tag habe ich einen Ruhetag tatsächlich schon wieder mehr als nötig. Dabei fing der Tag so angenehm an: Bei bestem Wetter führten mich die gut ausgebauten Straßen Denvers (zuerst über ein paar kleine Umwege) aus der Innenstadt heraus auf einen Bike-Trail, der dem South Platte River folgte. Auf diesem gut ausgebauten Radweg war um zehn Uhr bereits Hochbetrieb – so viele Rennradfahrer habe ich schon lange nicht mehr in so kurzer Zeit gesehen. Gute 20 Kilometer nutzte ich den Luxus, ohne störende Kreuzungen oder Autoverkehr und auch noch ohne fühlbaren Gegenwind voranzukommen.
Aufeinandertreffen mit Rockern
Leider folgte direkt darauf das komplette Gegenteil: Knapp zehn Kilometer musste ich dem stark befahrenen und nicht sonderlich schönen Highway 85 – dem Santa Fe Drive – folgen. Glücklicherweise gab es dann ab einem Punkt eine ruhige Nebenstraße, die direkt parallel verlief. Abseits des Fahrtwinds der ganzen überholenden Autos und Trucks merkte ich jetzt erstmals den angekündigten Südwind – aber alles noch im machbaren Rahmen. In Sedalia bog ich dann auf die Route 105 ab, der ich für über 40 Kilometer folgen würde. Ein bisschen mehr als zwei Stunden die schöne Landschaft genießen und dann Mittagessen – so stellte ich mir das kurz nach dem Abbiegen noch vor. Doch der Wind machte sich schon etwas mehr bemerkbar. Ehe ich dem aber Beachtung schenken konnte, raste erst einmal ein endloser Zug an mir vorbei. Dieses Mal aber nicht auf Schienen, sondern auf Motorrädern. Unter den Rockern scheint die Route wohl auch beliebt zu sein.
Selbst bergab wird’s zur Qual
Daneben ist die Strecke aber anscheinend auch bei Radsportlern sehr beliebt. An jeder Ecke standen Hinweisschilder für die Autofahrer, die auf Radfahrer achten sollen. Außerdem kamen mir jede Menge Rennradfahrer entgegen. In meine Richtung bewegte sich aber keiner, und der Grund wurde mir dann ziemlich schnell auch klar: Der Südwind scheint hier im Tal zwischen zwei Gebirgszügen so mächtig an Fahrt zu gewinnen, dass er unerträglich wird. Während mir also die ganzen Kollegen selbst bergauf quasi entgegenwehten, musste ich auch bergab hart in die Pedale treten. Und es wurde immer schlimmer. Die Steigungen an sich waren sogar noch das angenehmere, denn kaum am Gipfel angekommen, blies der Wind wieder stärker.
Jeden Kilometer eine Pause
Nach kurzer Zeit gönnte ich mir die erste Pause. Viel geschaft hatte ich noch nicht. Und richtig gut weiter ging es danach auch nicht – im Gegenteil. Der Wind machte mich verrückt. Teilweise kam ich im kleinsten Gang kaum voran. An Ecken, an denen ich mir aufgrund von Bäumen etwas Windschatten erhofft hatte, wehte es nur noch stärker. Am Ende hielt ich fast jeden Kilometer für ein paar Minuten an, denn die Beine wurden immer schwerer. Der einzige Lichtblick war ein kurzes Stück zwischendurch, auf dem ich einen kleinen Schwenker fahren konnte und anschließend im Windschatten eines Berges einen Anstieg mal ohne Gegenwind meistern konnte. Das lief auch problemlos ab – doch je näher man dem Gipfel kam, desto mehr pustete der Wind einen wieder zurück. Um es zu verbildlichen: Wenn ich anhalten wollte, brauchte ich meine Bremsen nicht zu betätigen – der Wind stoppte mich binnen Sekunden. Anschließend musste ich das Rad gut festhalten oder die Bremsen betätigen, damit der Wind es mir nicht wieder in Richtung Denver wehte – selbst bergauf!
Alle Batterien leer
Die Kilometer verstrichen leider so gar nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit guckte ich aufs Garmin, nur um feststellen zu können, dass ich mich gerade einmal einen Kilometer bewegt habe. Die Distanz zum nächsten Abzweig wurde zu meinem einzigen Ziel. Zwischendurch dachte ich aber ernsthaft, dass ich es nicht schaffen könnte. Die Beine fühlten sich einfach leer an. Irgendwie habe ich es dann aber doch geschafft. Hinter dem Abzweig ging es fortan bergab, außerdem für ein Stück eher Richtung Osten. So rollte ich schnell nach Monument, wo ich meine deutlich verspätete Mittagspause bei „Arby’s“ einlegte – das erste Mal bei der BBQ-Kette. Die hätten mir wahrscheinlich alles servieren können und ich hätte es lecker gefunden. Aber der Smoky Ham Burger war tatsächlich nicht schlecht. So dringend habe ich Kalorien schon lange nicht mehr gebraucht.
Verfolgungsjagd
Gut gestärkt, aber etwas widerwillig ging es wieder raus aufs Rad. Und tatsächlich: Die Beine hatten wieder etwas Energie zurück, außerdem schien der Wind hier außerhalb des Tals nicht mehr so konzentriert in einem Tunnel zu wehen. Zwar benötigte ich zwischendurch noch einmal die ein oder andere Pause, aber die restlichen 35 Kilometer rollten sich gut und ziemlich schnell. Ich holte sogar fast meinen blöden Virtual Partner auf dem Garmin wieder ein, der mir eine 20 km/h-Durchschnittsmarke vorgibt. Komischerweise hatte ich am Ende sogar einen 20,1er-Schnitt. Da muss der Virtual Partner wohl die ein oder andere Ampel überfahren haben.
„Open your mind!“
Erschöpft und glücklich erreichte ich das „Boulder Crescent Inn“, eine Art Hostel, das ich auf Airbnb gefunden hatte. Bereits in der Beschreibung war davon die Rede, dass es hier einen Raum gibt, in dem legal Marijuana geraucht werden darf – das scheint echt ein Ding hier in Colorado zu sein. Als mich einer der Hosts in Empfang nahm, wurde mir auch direkt angeboten, es auszuprobieren – „Open your mind!“. Ich hab dankend abgelehnt. Das Haus ist abgesehen davon aber sehr schick und nett, und aus meinem Zimmer direkt unterm Dach habe ich einen wunderbaren Ausblick auf den Pikes Peak in den Rockies, der sogar noch mit Schnee bedeckt ist. Dafür ist das Zimmer leider sehr warm. So bin ich erst einmal fix mit dem Rad zu Walmart gefahren, um mir günstig Eiscreme zu kaufen. Natürlich war der Einkaufswagen am Ende wieder voller als erwartet – ich hätte vielleicht vorher etwas essen sollen. Cool war es, das Rad mal wieder ohne Gepäck zu fahren.
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