Nach der etwas längeren Pause in Chicago fiel es mir heute sehr schwer, aus dem Ruhemodus heraus zu starten. Doch die Vorfreude auf ein besonderes Highlight ließ mich dann doch losradeln.
Muss ich wirklich schon weiter?
Meine drei Ruhetage in Chicago gingen viel schneller vorüber, als mir lieb war. Gleiches Spiel wie in New York: Da gewöhnt man sich gerade an die Stadt und gewinnt die WG lieb, da gilt es schon wieder, weiterzuziehen. Ich muss zugeben: Der Schweinehund war heute besonders groß und ich tat mich sehr schwer, die Motivation für die anstehende Strecke nach Kansas City und weiter nach Denver zu finden. Immerhin würden Farmen und Getreidesilos die größeren Highlights der nächsten drei Wochen werden. Es hilft nichts: Kurz vor zehn Uhr saß ich wieder im Sattel und rollte über die Straßen von Chicago gen Westen.
@Rebecca: Thanks again for giving me a comfy place to sleep and for the wonderful days in Chicago – I really enjoyed meeting you and the city! Hopefully I’ll be able to make all that good again one day.
Endloses Chicago
Westwärts war das richtige Stichwort. Kilometerlang ging es nur geradeaus, dabei wechselte das Stadtbild immer wieder von Block zu Block: Mal erinnerte die Straße an die B1 in Zehlendorf, dann sah es plötzlich aus wie in Spandau. Alles mit einem leichten Ghetto-Touch. Die Strecke streckte sich wahnsinnig und ich wünschte, ich wäre wirklich in Berlin. Ich war froh, als ich endlich nach 30 Kilometern die urbanen Räume hinter mich lassen und auf den Illinois & Michigan Canal Trail abbiegen konnte. Zu meinem Erstaunen war dieser sogar gut geteert und der Zustand verbesserte sich sogar mit der Zeit.
Immer am Wasser entlang
Es wurde immer besser, bis der Trail (der immer wieder seinen Namen wechselte, mittlerweile war es der Centennial Trail) auf Schotter wechselte. War aber gar nicht so schlimm – es rollte sich weiterhin gut und staubte nicht. Mittlerweile hatte ich auch endlich meine magische 50 Kilometer-Marke geknackt und gönnte mir eine Mittagspause mit herrlichem Ausblick. Auch auskühlen tat ich nicht, da die Sonne angenehm meine Arm- und Beinlinge erwärmte. Hier traf ich auf eine Freizeit-Radlerin, die erst an mir vorbeifuhr und dann doch noch einmal umdrehte, um mich zu fragen, wo ich hin will. Sie hatte zwar bereits ein paar Mal ein paar Staaten durchquert, aber eine USA-Durchquerung steht bei ihr immer noch auf der Liste. Heute ging es bei ihr aber nur in die nächste Stadt.
Fox River State Penitentiary
In Lockport verließ ich dann aber absichtlich den Trail und schlug mich auf der normalen Straße nach Joliet durch. Denn eine Attraktion, die ich mir unbedingt angucken wollte (und die tatsächlich zufällig genau auf meiner Route lag) war vom Trail aus nicht sehr gut zu betrachten: Das Old Joliet Prison. Das diente in der Vergangenheit bereits mehreren Filmen und Serien als Kulissen, ich kenne es aber aus Prison Break – einer meiner Lieblingsserien. Bereits von weitem erkannte ich den markanten Wasserturm, der ständig bei sämtlichen Einstellungen mit im Bild war. Und kurz darauf erblickte ich auch den ersten Wachturm. Da war es also: Das „Fox River“, wie es in der Serie heißt. Vom nahen war es gar nicht mal so spektakulär, es sah sogar etwas heruntergekommen aus. Hier scheint bereits seit Jahren nichts mehr passiert zu sein. Dennoch war es definitiv ein Highlight, Michael Scofield, Lincoln Burrows und Dr. Sara Tancredi einmal so nah zu sein. Und das zeitlich sogar passend: Aktuell wird die Serie wiederaufgelebt, die Dreharbeiten zur neuen fünften Staffel finden aber leider nicht mehr hier, sondern unter anderem in Kanada statt.
Flucht vor den fauchenden Gänsen
Anschließend ging es durch Joliet, eine überraschend schöne Stadt. Viel los war hier aber trotzdem nicht, die Ampeln wurden alle bereits ausgeschaltet und durch Stoppschilder ersetzt. Hinter der Stadt bog ich auf die Route 6 ab, der ich jetzt einige Zeit folgen würde. Parallel dazu führte wieder ein Trail, dieses mal der Illinois and Michigan Trail. Doch im Gegensatz zum vorherigen Trail war der Schotter hier nicht gut zu fahren, außerdem wurde ich ständig von Gänsen mit ihren Küken angemacht und musste gleichzeitig deren Exkrementen auf dem Weg ausweichen. Es ging also wieder zurück auf die Straße, auch wenn es hier etwas eng war – irgendwann war der Seitenstreifen nämlich ganz verschwunden. Dafür konnte ich den Rückenwind komplett ausnutzen und rollte ziemlich zügig voran.
Vom Highway auf die leere Landstraße
Zu meiner Überraschung tauchte kurz vor Channahon ein Radweg rechts neben der Straße auf. Ich zögerte kurz, weil ich nicht wusste, ob das vielleicht ein bald abbiegender Trail ist, nutzte dann aber die Gelegenheit, dem Verkehr zu entfliehen. Und wurde belohnt: Ohne jeglichen Gegenverkehr rollte ich entspannt direkt neben dem Highway. Schade, dass hinter der Stadt schon wieder Schluss war. Doch lange musste ich nicht auf der dicht befahrenen Straße bleiben: Ich bog ab auf eine malerische Landstraße, die mich durch kleinere Siedlungen immer entlang des Illinois River führte. Parallel gab es auch hier wieder einen Trail, aber nach einem kurzen Versuch kehrte ich doch wieder auf die gut zu fahrende und sehr leere Straße zurück. Hier verflogen die Kilometer nur so. In Seneca musste ich dann leider doch wieder auf die Route 6 zurück, doch so voll war der Highway hier zum Glück nicht mehr. So ging es ziemlich bequem bis nach Ottawa – meinem heutigen Tagesziel.
Mal wieder ein Motel
Das Motel hatte ich mir schon heute Mittag herausgesucht und ist mit 45 Dollar sogar recht günstig und dafür sogar sehr sauber und gut ausgestattet. Warmshowers-Unterkünfte konnte ich in der Umgebung leider keine finden, und das günstigste Airbnb-Angebot begann bei 55 Dollar zuzüglich aller Gebühren. Und obwohl es heute tagsüber sehr schön warm war und die Sonne meine Arm- und Beinlinge so schön wärmte, wäre es heute Nacht wieder zu kalt zum Campen geworden. Dafür habe ich schon eine Warmshowers-Unterkunft für morgen gefunden – Tagesziel ist also Pekin, das sind wieder etwa 140 Kilometer, dieses Mal allerdings kreuz und quer durch Farmen und nicht mehr am Wasser entlang. Dafür soll das Wetter morgen besser werden. Nur auf den Wind bin ich noch etwas gespannt. Jetzt genieße ich erst einmal wieder etwas amerikanisches Fernsehen, nachdem es zum Abendessen erstmals ein „Jimmy John’s“ Sandwich gab (der Cookie war besonders lecker!).
Die Etappe auf Strava