Es ist geschafft: Ich bin endlich wieder zurück in der Zivilisation – und gleichzeitig auch am Fuße der Rockies. Die haben mich direkt mit warmen Wetter und besserem Wind empfangen.
Treffpunkt Prairie Motel
Nach dem doch sehr anstrengenden Tag gestern war ich mittlerweile sehr froh, mich für die Nacht im Motel entschieden zu haben. Und das nicht nur, weil ich dann ein warmes Bett hatte und nicht in der Kälte campen musste. Wäre ich weitergefahren, hätte ich niemals diese weitere tolle Erfahrung sammeln können: Wie gestern bereits berichtet, wurde ich von Stephanie und ihrer Familie, die das kleine Motel betreiben, herzlich empfangen und sogar zum Abendessen eingeladen. Hier lernte ich auch direkt weitere Gäste kennen. Und nach einer sehr bequemen Nacht wurde die Runde heute Morgen noch einmal um die älteren Töchter und der Schwester von Stephanie erweitert. So hörte ich wieder viele spannende Geschichten, zum Beispiel von LaDetria (im Bild rechts neben mir), die Luftfahrtingeneurin ist und einige Zeit die riskanten Versorgungsflüge in Haiti gemanagt und überwacht hat.
Immer noch starker Südwind
Eigentlich war es wieder einmal viel zu schade, weiterzureisen – aber Denver wartete auf mich. Wie Stephanie und LaDetria bei der Abfahrt noch einmal betonten: Das Prairie Motel liegt zwar abgelegen, aber Gottes Wege und das Schicksal führen am Ende doch alle hierhin – was es zum echten Treffpunkt für außergewöhnliche Reisende macht. Stephanies Mann bot mir am Ende sogar noch an, dass ich länger bleiben und er mich dann mit seinem Truck nach Denver bringen könne – aber da ich am Ende wirklich die komplette Strecke einmal geradelt sein möchte, musste ich leider ablehnen. Und so ging es für mich wieder aufs Rad. Der Wind wehte leider weiterhin sehr stark von Süden, doch heute waren die Beine wieder in guter Form – das leckere Abendessen und Frühstück hatten sich gelohnt. Etwas schneller ging es jetzt also weiter auf der Route 36 immer gen Westen. Wer mal drei Minuten mitfahren möchte, kann sich im Video einen Eindruck davon machen, wie der Großteil des Tages für mich aussah:
Wolken? Oder doch Bergspitzen?
Nachdem anfangs wieder sehr flach weiterging, wurde es nach einiger Zeit doch wieder hügeliger. Doch das brachte eine willkommene Überraschung mit sich: Nach einigen Anstiegen tauchten tatsächlich die ersten Bergspitzen am Horizont auf. Anfangs war ich mir nicht ganz sicher, ob es nicht doch einfach nur Wolken waren – davon gab es am Horizont auch genug. Und so stieg die Motivation plötzlich stark an, die Anstiege möglichst schnell zu meistern – jedes Mal sah man etwas mehr. Als ich dann irgendwann sicher war, dass das vor mir die Rockie Mountains sind, fühlte ich mich einfach überwältigt. Ich war froh, nach so vielen Kilometern durch Kansas und Colorado nun endlich an dem Punkt angekommen zu sein, ab dem die Dinge wieder spannend werden. Und andererseits war das Bild einfach absurd: Die Landschaft schien weiterhin sehr flach, trotzdem bin ich in den letzten Tagen bereits auf fast 1.800 Meter über dem Meeresspiegel geklettert – einen Kilometer höher als die Appalachen. Und am Ende dieser flachen Wiesenlandschaft dann die Berge – den Augenblick musste ich einfach genießen.
Abkürzung Closed
Von jetzt an ging es eigentlich ziemlich gut voran – auch wenn hinter Last Chance fast 50 Kilometer nichts kam. Wieder mit Musik auf einem Ohr und einem langsam nachlassenden Wind rollte es sich tatsächlich immer besser. Der Ausblick nach vorne tat den Rest. Und so landete ich irgendwann am Punkt, auf den mein Garmin mich seit Phillipsburg hinwies: Bitte rechts halten. Eigentlich ging es sogar nur geradeaus – die Route 36 machte einen Bogen, und eine County Road wäre die perfekte Abkürzung gewesen. Doch zwei große „Road Closed“-Schilder ließen mich dann doch weiter auf der Route 36 fahren. Und das war gar nicht mal so schlecht: In Byers kam ich so an dem Burger-Restaurant „Country Burger“ vorbei. Genau das, was ich jetzt nach mittlerweile wieder 90 Kilometern brauchte.
Plötzlich Sommer
Nach der leckeren Mittagspause musste ich mich erst einmal entkleiden – unter den Arm- und Beinlingen fing ich langsam an, zu schwitzen. Der Wind nahm ab jetzt immer mehr ab und ich hatte das Gefühl, dass er auch etwas mehr aus Osten wehte und mir dadurch Anschub gab. Gleichzeitig spürte ich dadurch auch, wie warm es jetzt wurde. Mein Garmin zeigte mir wieder Temperaturen um die 28°C an. Während mir beim Fahren also immer wärmer wurde, sah ich immer mehr von den schneebedeckten Bergspitzen am Horizont – wieder mal etwas paradox. Noch paradoxer wurde es später aber in Denver, als mich ein Bus mit Werbung für eins der Skigebiete in Colorado überholte.
Zurück in der Stadt
Nach Byers wechselte das Landschaftsbild dann endgültig zurück auf Zivilisation: Statt endloser Wiesen fanden sich jetzt überall bereits vereinzelt Häuser am Straßenrand. Und die Abstände zwischen den Orten wurden auch immer kleiner. Und spätestens nach dem Unterqueren der E-470 war ich im Stadtgebiet von Denver. Vierspurige Straßen, Ampeln, Fast-Food-Restaurants – alles das fand sich jetzt hier wieder. Für mich ging es immer geradeaus, zuerst durch Aurora, das anscheinend eine eigene Stadt kurz vor Denver ist. Aber wo genau die Grenze liegt, hätte ich nicht sagen können. Hier wurde mir jedenfalls der Verkehr auf der Hauptstraße – der „Colfax“ – zu dicht, so dass ich schnell auf eine parallel verlaufende Straße flüchtete.
Speichentausch für fünf Dollar
Erster Anlauf in Denver war ein Fahrradladen. Laut Google Maps lag „Denver Bicycles“ direkt auf dem Weg zu meiner Airbnb-Unterkunft – und ich war sogar gut in der Zeit. In dem kleinen Laden, der vor allem Bianchi und Fuji führt, ist die Werkstatt quasi direkt im Raum. Mit dem Mechaniker und der Verkäuferin kam ich dann direkt über meine Tour ins Gespräch – und meine Speiche wurde auch sehr schnell ausgetauscht. Am Ende musste ich sogar nur fünf Dollar bezahlen. Vergleich: In Washington, IL waren es über 35. Und hier in Denver bekam ich am Ende sogar noch ein paar Sticker und Aufbügler. Ich könnte jetzt also mein T-Shirt vom Radladen aus Kansas City noch erweitern.
Schicke Ecke in Denver
Mit endlich wieder vollständigem Hinterrad ging es dann in Richtung Unterkunft – weit war es nicht mehr. Unterwegs machte ich noch kurz Halt bei Saveways. Wieder ein paar Doller ärmer und eine Kundenkarte reicher. Mit Einkaufstüte am Lenker bahnte ich mir dann den Weg durch die grünen Straßen in dieser schicken Gegend von Denver. Das Haus, in dem mein Zimmer ist, ist ein schöner „Altbau“ (auf amerikanische Häuser bezogen) und in der ganzen Ecke sind viele Restaurants und Bars. Mein Gastgeber hatte sogar noch gefragt, ob wir später ein Bier trinken gehen wollen – er ist dann aber bei Game of Thrones eingeschlafen. Morgen will ich erst einmal vor allem ausschlafen, eventuell endlich mal wieder zum Friseur und dann die Stadt erkunden.
Die Etappe auf Strava