Der Hochsommer macht das Radfahren tagsüber aktuell sehr mühsam. Warum nicht also durch die Nacht düsen? Passend zur Sommersonnenwende nutzte ich die Chance für eine Tour zur Ostsee.
Ich glaube seitdem ich vor neun Jahren nach Berlin gezogen bin, hatte ich den Plan, mit dem Rad von hier an die Ostsee zu düsen. Damals wollte ich unbedingt mal nach Warnemünde fahren, es gab sogar einen gescheiterten Anlauf, aber irgendwie hat es dann nie geklappt. Bis jetzt: Durch die aktuelle Hitzewelle und die bevorstehende Sommersonnenwende überlegte ich mir, eine längere Tour durch die Nacht zu starten. Der Wind kam aus Süden, die Temperaturen sollten nicht unter 20 Grad fallen und die Route lag schon länger in den Komoot-Planungen. Los geht’s!
Endlich konnte ich auch mal wieder mein Laufrad mit Nabendynamo zum Einsatz bringen, das ich mir für die 24-Stunden-Radfahrt im letzten Jahr zugelegt hatte. Einweihen konnte ich daneben meine neue Food Pouch, die sich schon auf den ersten Metern sehr nützlich machte. Gut ausgestattet rollte ich also über die bereits leeren Straßen Berlins in die Dämmerung. Zwischen Spandau und Oranienburg dann doch noch einmal Stress, viel zu viel Verkehr für die Uhrzeit und dann noch die schlechten Radwege. Ein Gutes hat der helle Frontscheinwerfer: Die Wurzeln schlagen bereits lange vor dir ihren Schatten und man kann die „am wenigsten schlechte“ Stelle gut ausmachen.
Ein Hoch auf die Stirnlampe
Umso erleichterter war ich dann, als ich hinter Oranienburg auf den leeren Radweg am Oder-Havel-Kanal abbiegen konnte. Jetzt, so ganz ohne Straßenlaternen, merkte ich auch erst, wie dunkel es schon geworden war. Als ich gerade eine neue Streckenführung nach Zehdenick ausprobierte, merkte ich, dass mein Licht etwas weiter nach oben leuchten könnte, auch Kurven konnte ich nach wie vor schlecht einsehen. Aber ich habe ja gelernt: Eine Stirnlampe kann da Wunder bewirken. Also kurz im Licht der Schleuse Bischofswerder das Frontlicht justiert, die Stirnlampe aufgesetzt und schnell wieder vor den Mücken geflohen.
Die Stirnlampe machte einen Unterschied wie Tag und Nacht. Das Licht folgte nun auch meinen Blicken zur Seite oder in Kurven, die neu ausgerichtete Frontleuchte leuchtete mir nun schon etliche Meter voraus den Weg hell aus. Erstmals konnte ich trotz Rascheln links und rechts die Fahrt durch die eh noch sehr warme Nacht genießen und abschalten. Sogar die Musik ließ ich erst einmal aus und genoss die Stille der Nacht. Die genossen gerade hier am Vosskanal auch noch einige Angler, alleine war ich also eh nicht.
Nachts allein auf dem Friedhof
In Zehdenick dann erster Stopp zum Nachfüllen der Flaschen. Gar nicht so leicht, im Dunkeln die Wasserhähne auf dem Friedhof zu finden. Auch hier machte sich die Stirnlampe sehr nützlich. Und jetzt war ich immerhin auch mal nachts auf einem Friedhof. Bis Templin kannte ich die Strecke noch, dann sollte es auf einigen Komoot-Highlights weitergehen. Was mir schon vorher etwas Sorgen machte: Die angepriesenen Fahrradstraßen führten über ehemalige Bahndämme. Sicher wunderschön zu fahren, aber eben auch ganz abseits von Straßen und wahrscheinlich durch dichte Wälder.
Erst war ich überrascht, dass es doch gar nicht so schlimm war, wie ich dachte. Die Strecke war trotz der Dunkelheit sehr schön zu fahren, es ging etwas bergauf und wieder bergab, ich konnte sogar einen ehemaligen Bahnsteig im Dunkeln ausmachen. Doch nachdem dann einige Rehe, Füchse und Hasen den Weg kreuzten und es manchmal doch ungewöhnlich laut neben mir raschelte, ging ich zu einer neuen Idee über: Ich spielte, passend zum Bahndamm, amerikanische Lokomotive und klingelte einfach über mehrere Passagen durchgehend. Ich kam mir zwar etwas blöd vor, aber so waren die Tiere immerhin vor mir gewarnt.
Vertraue immer der eigenen Routenplanung
Als sich der Wald dann lichtete, wurde ich von einem wunderschön rot leuchtenden Mond zu meiner linken gegrüßt. Im Osten wiederum leuchtete der Himmel eh noch immer leicht orange – das ist wohl der Vorteil an diesen kurzen Nächten, so richtig dunkel ist es dann nie. Besonders jetzt ging es wieder über mehr Landstraßen und durch offene Felder, das machte einfach unglaublich Spaß. Besonders, weil der Wind sich nun auch deutlich mehr bemerkbar machte und mich so unglaublich schnell über die Grenze nach Mecklenburg-Vorpommern düsen ließ.
Einen Fehler machte ich dann doch noch in der Nacht: Statt meiner geplanten Route zu folgen, dachte ich, dass ich jetzt einfach der Hauptstraße folgen und etwas abkürzen könnte. Ganz dumme Idee: Die war nämlich schlimmstes Brandenburger Kopfsteinpflaster, selbst die Sandspur daneben war kaum befahrbar. Merke: Stelle nie deine eigene Planung in Frage.
Flyby mitten in der Nacht
Die nächsten Kilometer verflogen recht schnell und gut. Ich genoss die Ruhe, seit Stunden hatte ich keine andere Seele und auch kein Auto mehr gesehen, nur Hauskatzen warteten auffällig oft am Straßenrand. Überhaupt habe ich wahrscheinlich mehr Katzen als richtige Wildtiere gesehen. Und die Straßen waren ein Traum. Am Horizont wurde es schon wieder heller, Dorf für Dorf konnte man immer schon die Silhouette mit ihrem Kirchturm erkennen.
In Friedland dann kamen mir dann zwei andere hell erleuchtete Radfahrer entgegen, der einzige richtige Flyby der gesamten Tour. Ob die wohl auch gerade auf Nachtfahrt sind, vielleicht sogar auf der Parallels-Challenge oder auf dem 600er-Brevet, die ja auch gerade stattfinden? So eine unverhoffte Begegnung ist immer eine Freude und motiviert.
Usedom zum Sonnenaufgang
Recht schnell rollte ich dann durch Anklam und war immer noch auf der Suche nach einer Nachfüllmöglichkeit für mein Wasser. Friedhöfe hatte ich leider seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen und auch sonst konnte ich hier weder Wasserhähne noch schon geöffnete Tankstellen finden. So rollte ich erst einmal durstig weiter über die nun schon für Usedom- und Ostseetouristen ausgebaute Radwege. Die waren schön ausgeschildert und oft gut ausgebaut und ich hatte sie um diese Uhrzeit zum Glück noch komplett für mich.
Das erste Sonnenaufgangs-Foto gab es pünktlich beim Erreichen von Usedom an der Brücke Zecherin. Mit dem Boot bin ich schon öfter drunter hergefahren, nun endlich auch mal drüber. Und das erste wichtige Ziel war geschafft. Usedom selbst überraschte mich jetzt mit noch einmal schöneren Radwegen. Teilweise komplett abseits der Straßen, durch unerwartet hügelige Abschnitte und mit tollen Ausblicken auf das Achterwasser. Nur einmal gab’s ein kurzes Stück Schotter – gar nicht so einfach da aufzupassen, wenn man schon etwas übermüdet ist.
Erfrischung in der Ostsee
Schade eigentlich, dass ich dann irgendwann an die auch jetzt schon wieder viel befahrene B111 kam, der ich nun weiter folgte. Kleiner Trost: Auch die Bahnstrecke führte hier lang, perfekt fürs erste Trainspotting des Tages. In Koserow führte mich meine Planung dann endlich richtig an die Ostsee und an den Strand. Endlich: Wasser! Und noch mehr: Endlich Ostsee! Nach einem Frühstück mit dem selbstgemachten Porridge ließ ich es mir auch nicht nehmen, kurz in die Ostsee zu gehen. Das kalte Salzwasser war die perfekte kalte Dusche zum Erfrischen und um die ganzen kleinen Fliegen von Armen, Beinen und Gesicht zu waschen. Und eine willkommene Abkühlung, denn trotz der frühen Uhrzeit – es war gerade mal sieben Uhr – war es schon wieder unglaublich warm. Voller wurde es jetzt auch schon: Viele Jogger, viele Leute mit Hund und auch viele auf dem Weg zum Bäcker.
Auf dem Weg zurück Richtung Festland füllten sich auch die Radwege schon wieder merklich. Wie das dann wohl erst tagsüber hier aussieht? Eigentlich hatte ich die Route ja bis Stralsund geplant. Aber die vielen Touristen zusammen mit der jetzt schon wieder brennenden Sonne gaben mir dann den finalen Impuls, in Wolgast die Tour zu beenden. Aber macht ja nichts: Das eigentliche Ziel – die Ostsee – hatte ich ja erreicht. Und vor allem: Die erste Fahrt komplett alleine durch eine Nacht, ganz ohne größere Probleme, bestens überstanden. Ich bin selbst immer noch etwas überrascht, dass es mir so unglaublich Spaß gemacht hat. Die nächste Nachtfahrt ist natürlich schon längst geplant.
Die Nachtfahrt auf Strava und als Story-Highlight auf Instagram
6 Antworten auf „Über Nacht an die Ostsee“
Wie immer ein sehr schöner Artikel 🥳
Echt toll!
„…weder Wasserhähne noch schon geöffnete Tankstellen…“
vielleicht hilft dir bei deiner nächsten längeren Tour das hier:
http://www.watersupply.at/index.php?q=Usedom
Gruss aus dem Burgenland
Rudi
Hallo Max,
vielen Dank für deine tolle Beschreibung und deine Inspiration! Ich habe die Tour 3 Wochen nach dir gemacht, bin in Torgau gestartet und ab Berlin fast deine Streckenführung – allerdings etwas langsamer, auch wegen des hügeligen Endes auf Usedom! Bezüglich der Tiere habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht – da waren die unbeleuchteten Angler am Kanal schon gefährlicher ;-) Alles in allem eine tolle Erfahrung! PS: Falls du mal Nachtfahrten in Richtung Sachsen / Prag planst, sag Bescheid.
Hallo Daniel, freut mich, dass ich etwas inspirieren konnte! Da hast du natürlich nochmal etwas draufgelegt, echt schöne Tour und vor allem schöne Bilder. In den Süden möchte ich demnächst auf jeden Fall nochmal, vielleicht sehen wir uns dann ja!
https://www.strava.com/activities/5612341193