Ruhetag, aber nicht für mich: Während alle Gasthäuser am Ziel geschlossen hatten, genoss ich erneut einen ruhigen Anstieg in das Erdbeertal und fuhr mitten durch die Apfelernte.
Serpentine um Serpentine kämpfe ich mich den Berg hoch, das Schild zeigt „Tornante 6“, Meter für Meter geht es quälend hinauf, der Blick zurück ins Tal bereits herrlich. Nein, das war nicht mein Aufstieg aufs Stilfser Joch, sondern lediglich ein kleiner Zwischenpart auf dem Etschtalradweg auf meinem Weg zum Martelltal. Passenderweise hat ein*e Nutzer*in auf Komoot dieses Stück direkt als „Piccolo Stelvio“ eingestellt. Diese sechs Schleifen waren direkt das erste Highlight nach nur wenigen Kilometern meiner zweiten Tour dieser Woche in Südtirol.
Das Ziel des Tages: Das Martelltal, das als Sackgasse ebenfalls einen möglichst ruhigen Aufstieg versprach. Der Weg dorthin führte erst einmal ins Vinschgau, bestens erreichbar über den wunderbar ausgebauten Etschtal-Radweg, wozu die genannten Schleifen bereits gehören. Ganz entspannt ging es anschließend immer der Etsch folgend weiter, fast unbemerkt bergauf, eigentlich immer flach. Besonders schön: Auch die Vinschgerbahn hat ihre Gleise hier liegen, in Naturns gab es dann die ungeduldig erwartete Begegnung mit dem Zug, Trainspotting inklusive.
Daneben begegneten mir zum Glück eher weniger Menschen hier auf dem Radweg. Als ich deshalb gerade fast im Flow versank und mich nur immer wieder fragte, warum wir in Deutschland nicht auch mehr solcher Radwege bauen, zeigte das Wahoo schon meinen ersten geplanten Umweg auf abgelegenere Straßen an. Also: Runter vom Etschtalradweg und direkt rein in die Apfelfelder. Abseits der Etsch ging es plötzlich steil hinauf und plötzlich ließen auch die Beine wieder verspüren, dass sie gerne noch mehr Ruhetage gehabt hätten.
Doch nach ein paar schweren Pedaltritten war ich wieder im Rhytmus und erklomm den Wirtschaftsweg in Richtung Tarsch. Zwar kamen mir hier kaum Autos entgegen, dafür aber umso mehr Trecker, die die ganzen geernteten Äpfel schon wieder hinunter ins Tal brachten. Zwischen den ganzen Apfelbäumen tummelten sich nicht nur die Erntehelfer, sondern auch wundervolle Ausblicke übers Vinschgau. Trotz recht grauer Wettervorhersage kam jetzt die Sonne heraus und tauchte wieder alle Berge um mich herum in schönstes Licht. Erst einmal ein Fotostopp, um das festzuhalten (vielleicht auch, weil die Beine schon wieder brannten).
Von Tarsch oben dann wieder wundervolle Aussichten in alle Richtungen, auch das Dorf sehr niedlich, überall wimmelte es von den Apfeltreckern. Die Abfahrt hinunter nach Latsch ziemlich schnell und rasant auf der ausgebauten Straße, ehe ich wieder auf Schleichwege durch die Apfelfelder abbog. Hier mal wieder ein paar mehr E-Mountainbiker, ansonsten aber nur der Apfelgeruch um mich herum. Plötzlich sogar eine kurze Gravel-Strecke, dafür mit romantischer Holzbrücke über den Bach.
Von Morter aus folgte ich dann für meinen Anstieg ins Martelltal der Hauptstraße. Oberhalb von mir die Burg Obermontani, die schon zwischen den Apfelreben vor mir auftauchte. Die Straße erst einmal etwas langweilig, immer nur geradeaus, aber immerhin merkte ich jetzt bereits: Hier sind wirklich kaum Autos, so macht selbst die monotone Straße Spaß. Gerade als ich ein Foto der ewig geraden Straßen schießen wollte, tauchten vor mir die ersten Serpentinen des Martelltals auf und brachten mich über die 1.000-Höhenmeter-Grenze. Immerhin über acht Kehren ging es zwischen Weinreben plötzlich steil aufwärts. Wieder kam passenderweise die Sonne heraus und motivierte. Was für schöne Farben überall! Fast schon zu schade zum Weiterfahren.
Die Abwechslung aus längeren, angenehm ansteigenden Stücken und plötzlichen starken Anstiegen blieb das Motto im Martelltal. Ich rechnete mir gerade mal aus, wie weit ich überhaupt hineinfahren werde – puh, noch 17 Kilometer, noch knapp 1.000 Höhenmeter. Besonders auf den flachen Stücken konnte man aber ganz gut Kilometer sammeln. Die steilen Stücke machten dann wiederum einige Höhenmeter am Stück gut. Das nächste wartete in Kombination mit einer Gallerie auf mich – heute hatte ich natürlich an das Rücklicht gedacht. Passend zum roten Licht verlor mein Wahoo hier das GPS-Signal und blinkte im gleichen Rhytmus wie die Leuchten an den Pfeilern.
Immer mal wieder Pause, der Abzweig zur Soy-Alm, Flaschen nachfüllen an einem der vielen Brunnen. Der Anstieg zog sich ganz schön. Seit Gand war die Straße schon schmaler, mir kamen noch weniger Autos entgegen, so habe ich mir das vorgestellt. Leider wurde es auch immer kälter und die Wolken ließen die Sonne kaum noch durchkommen. Zum Aufwärmen kündigte sich schon das nächste Steile Stück per Schild an: Due Tornanti!
Rechts von mir nun immer direkt der plätschernde Bach, die Bäume teilweise schon ganz bunt, dahinter die schon schneebedeckten Gipfel am Ende des Tals. Ein paar Wanderer grüßten zurück und ansonsten: Stille. Die Straße und der Anstieg ganz für mich. Erst vorbei an niedlichen Lamas, dann an Kühen und dann an der Biathlonanlage. Ganz schön viel zu sehen hier oben! Und es wurde noch besser: Nach weiteren zehn Kehren kam ich am Zufritt-Stausee an. Die gewaltige Staumauer lud zu einem kleinen Abstecher ein. Der Blick nach links: Ganz schön steil und tief abwärts. Nach rechts: Hellblaues Wasser wie aus der Karibik. Natürlich der perfekte Zeitpunkt für einen weiteren Foto-Stopp.
Wieder folgte ein etwas gemächlicheres Stück, jetzt eben direkt am Stausee vorbei. Hier musste ich schon meine Handschuhe anziehen, die Temperaturen waren mittlerweile nur noch einstellig und die Entscheidung, lange Hose und winddichtes Trikot anzuziehen, entpuppte sich als richtig. Am Ende des Sees wieder schönste Verhältnisse mit schmaler Straße, bunten Bäumen und kompletter Ruhe. Dann wieder die Warnung auf dem Schild: 14 % Steigung, laut Komoot sollten es noch mehr sein. Der finale Anstieg, die finalen acht Kehren hinauf zum Ende der Straße – und die brannten jetzt besonders. Doch im Hinterkopf immer wieder die Aussicht auf einen im Komoot-Highlight angepriesenen Erdbeer-Kaiserschmarrn, das motivierte jetzt besonders.
Die letzte Serpentine war geschafft und ich quasi am Ziel. Was mich hier jetzt erwarten würde, wusste ich vorher überhaupt nicht. Es gab zwei Gasthöfe, einen Imbiss und einen Lift, ich wollte die Straße wenigstens noch bis zum Ende fahren. Und die nahm dann mit einem „Landesstraße endet“-Schild ihr unspektakuläres Ende. Das Zielfoto gab es dann dafür auf der etwas schöneren Brücke nebenan. Passend zum Bergfest fielen die ersten Flocken Schnee. Schon beim Aufstieg kam ich mehreren Straßenwärtern entgegen, die gerade die Schneezeichen an den Leitpfosten befestigten.
Jetzt aber zum eigentlichen Ziel: Kaiserschmarrn! Doch die beiden Gasthöfe direkt am Ende der Straße entpuppten sich als Fehltritte. Einer komplett verriegelt, der andere schon geschlossen. Also die zehn Kehren wieder herunter und etwas weiter unten das Glück probiert – wieder Ruhetag. Ein paar Kilometer weiter lockten dann die „geöffnet – apperto“-Schilder, doch mir wurde nur falsche Hoffnung gemacht. Dienstags scheint im Martelltal Ruhetag zu sein – oder ich war einfach schon zu spät in der Saison unterwegs. Enttäuscht ging es weiter hinab. Wieder vorbei am Stausee, wieder die Kehren hinab, wieder entlang der Lamas und Biathlon-Strecke.
Doch dann: Hotel Waldheim, das ist mir schon beim Aufstieg aufgefallen. Hier parkten auch Autos und es brannte Licht. Die erste Frage an der Theke: „Habt ihr auch Kaiserschmarrn?“ – Eigentlich nicht, aber für mich wurde das kurzerhand geändert, „Schoffmer.“ Zusammen mit der heißen Schokolade ein Moment von Paradies in der kalten Abfahrt. Gefühlt mit mehr Kalorien im Bauch als ich auf der ganzen Runde verbrannt habe rollte ich dann die restlichen Höhenmeter zurück ins Vinschgau.
Dort warteten auch schon wieder mehr Sonne, höhere Temperaturen und natürlich der wunderbare Etschtal-Radweg. Den rollte ich jetzt entspannt zurück nach Meran, jetzt mit etwas mehr Verkehr in Form von E-Bikern, da machte sich die Klingel doch gleich wieder nützlich. Trotz der guten Wegverhältnisse zog sich das Stück dann doch ganz schön und die müden Beine wollten einfach nur noch entspannen. Noch einmal den Piccolo Stelvio hinab, sogar die E-Biker waren begeistert, und ab in die Badewanne. Trotz des teilweise grauen Wetters war das wieder ein ziemlich erfolgreicher Tag auf dem Rad. 2.000 Höhenmeter, ruhige Straßen mit wundervollen Ausblicken und vor allem: Kaiserschmarrn.
2 Antworten auf „Ruhetag im Martelltal“
Super 👍
[…] den Etschtalradweg, erste Station: Warmfahren am Piccolo Stelvio, ich kannte ihn ja schon von der Fahrt ins Martelltal. Herrlichstes Wetter war für diesen Tag angesagt und ich dachte kurz nach dem Start noch, ich […]