Gegenwind, leichter Niesel und ein nicht endender Deich. Die 300 Kilometer am Wochenende waren irgendwie unbefriedigend. Dabei wollte ich doch nur mal kurz zur Oder gucken. Am Ende wurde trotzdem alles gut.
Im Winter habe ich bei einem Besuch mal in einem GEO-Magazin geblättert und einen Beitrag über den Oder-Neiße-Radweg gelesen. Das klang so gut, dass ich direkt bei Komoot eine eigene kleine Runde zur Oder geplant hatte: Über Fürstenwalde und danach über Teile der alten Oderbruchbahn-Trasse nach Lebus, dann immer dem Oderradweg folgend flussabwärts bis Hohensaaten und über die bekannten Wege zurück nach Berlin. Den Abschnitt nördlich kannte ich bereits vom Wasser und von einem weiteren 300er mit dem anderen Max im letzten Frühjahr, jetzt sollte der südlichere Teil in Augenschein genommen werden. Das Wetter sah am Wochenende gut aus und es wurde Zeit, diesen seit ewig geplanten Track aus dem Winterschlaf zu holen. Also fix aufs Garmin geladen und los.
Erst gegen kurz vor neun Uhr rollte ich an diesem bereits sonnigen Samstag los, eigentlich wollte ich natürlich schon viel eher losgefahren sein. Dafür war es jetzt immerhin schon nicht mehr ganz so frisch und die Sonne wärmte die Armlinge schon gut durch. Erstes Highlight des Tages: Auf dem Weg zur Ostkrone konnte ich auf der Blaschkoallee das erste Mal auf einem der neuen Pop-Up-Radwege radeln. Autos waren zwar um die Uhrzeit eh noch nicht viele unterwegs, aber cool war es trotzdem. Schön, dass davon jetzt immer mehr in der Stadt auftauchen und eben auch der Bezirk Neukölln jetzt losgelegt hat. Noch schöner, wenn diese Radstreifen irgendwann dauerhaft bleiben können.
Ungewollt schneller Start
Nur wenige Meter später auf der Ostkrone dann das für mich nächste Highlight des Tages: Alle – wirklich alle! – Rennradfahrer haben mir zurückgegrüßt. Das ist mir glaube ich noch nie passiert. Morgens ist die Welt eben noch in Ordnung. Das merkte ich auch beim Wind, der mich bereits seit der Abfahrt gut anschob und mich auf ein Tempo brachte, das ich wahrscheinlich nicht lange auf einer solch langen Distanz durchhalten könnte. Das schlechte Gewissen fuhr also mit, aber schnell fahren macht eben auch Spaß. Am Ortsausgang von Köpenick sah ich vor mir dann noch eine große Rennradgruppe auf der Straße losfahren, die ich dann sogar noch auf dem Radweg entlang des Müggelheimer Damms (oder wie ich ihn nenne: Den Müggelpass) einholen konnte.
Zum Glück bog ich kurz darauf ab Richtung Müggelsee, wenn ich weiter so schnell gefahren wäre, wäre ich wahrscheinlich schon an der Stadtgrenze grau. Etwas gezügelt ging es nun also durch den Wald Richtung Erkner. Was hier bereits seine volle Wirksamkeit entfalten konnte: Meine neue Klingel, die mir Papa geschenkt hat. Ich konnte die Ströme der Jogger vor mir heute so mühelos trennen wie Moses das Meer. Ich weiß – eine Kingel an einem Rennrad? Aber ich muss gestehen: Das ist ein wahnsinniger Vorteil. Kein Rufen mehr, keine erschreckten Fußgänger, keine Diskussionen mehr mit Rentnern. Dazu aber später mehr. Erst einmal weiter die wunderschöne Strecke genießen, besonders die schönen Brücken in Hessenwinkel (natürlich mit Fotostopp).
Alte Bahnstrecken sind manchmal die besten Radwege
Hinter Erkner dann auf die ganz frisch asphaltierte Strecke nach Spreeau, weiter nach Spreenhagen und auf die die ewig lange Straße nach Fürstenwalde rein. Hier war ich wieder komplett für mich allein und konnte so richtig im Tunneln versinken. Nur einmal kam mir ein kleines Kind mit seiner Mutter auf dem Rad entgegen, das mir fröhlich entgegen klingelte. Heute konnte ich endlich mal zurückklingeln und -winken. Total im Flow und mit Rückenwind war ich dann doch wieder flotter als geplant unterwegs und holte sogar noch zufällig einen sechsten Platz in einem Strava-Segment (immerhin Top 10, das ist ja das einzige, was ich noch sehen kann). Oh man, ich muss echt langsamer werden. Aber der Rückenwind!
In Fürstenwalde wollte der Trainspotter in mir eigentlich nur schnell die schöne Brandenburg-Lok vor dem RE1 spotten, stattdessen wurde ich selbst zwei Mal gespottet. Einmal von meinem Kollegen Patrick, den ich aber leider nicht gesehen habe, und dann später von einem mysteriösen schwarzen Audi, aus dem ich angehupt und -gewunken wurde. Hallo zurück an alle! Hinter der Stadt bog ich ziemlich schnell auf die ehemalige Trasse der Oderbruchbahn ein. Eine Bahnlinie, von der ich vor der Planung dieser Strecke auch noch nichts gehört hatte. Wie ich dann heute beim Blick auf die vielen Infotafeln am Wegesrand erfuhr, war das sogar ein ganzes Netz an Eisenbahnstrecken durch das nordöstliche Brandenburg. Leider fährt heute kein Zug mehr, dafür hatte ich umso mehr Zug auf der Kette auf diesen wunderschönen Radwegen entlang der alten Strecke.
Anstiege in Brandenburg
Kaum eine Menschenseele begegnete mir hier auf dem langen Stück bis Falkenhagen. Nur einmal konnte ich ein älteres E-Biker-Paar anklingeln. Wenn man den hinten fahrenden Partner (warum ist das eigentlich meistens die Frau?) zuerst alarmiert, stößt man dann ja meistens ein Relay an, denn dann wird wild nach vorne gerufen. Zum Glück kann ich ja direkt noch einmal klingeln. Läuft doch wie geschmiert. Links und rechts zogen manchmal alte Bahnhöfe und Güterschuppen vorbei, ansonsten vor allem Bäume und Felder. Es war einfach traumhaft. So gerne ich Züge mag: Hoch leben alte Eisenbahnstrecken.
In Falkenhagen stand dann der erste größere Anstieg des Tages an, angekündigt durch ein hochalpines Gebäude mit dem Namen „Schweizerhaus“. Fast dachte ich, ich wäre falsch abgebogen. In Döbberin dann aber statt frischem Schmelzwasser aus dem Brunnen nur Friedhofswasser für mich. Und kurz darauf war ich bereits am ersten Zwischenziel: In Lebus traf ich auf die Oder und damit auf den Oderradweg. Kurzes Foto am „Hafen“ der Stadt, an dem auch zwei Wohnmobile und einige Autos parkten, von denen gerade noch einmal mehr E-Bikes entladen wurden. Zuerst führte der Radweg zwischen steilen Hängen und Pferdekoppeln hindurch, ehe ich endlich auf den Deich abbiegen konnte.
Wenn der Gegenwind alle Körner frisst
Das brachte einen schönen Vorteil: Den Ausblick sowohl über die Oder und ihrer Ausläufe als auch über die weiten Felder auf der anderen Seite. Doch der große Nachteil: Der Wind hatte hier oben nun auch leichtes Spiel, mich gut ausbremsen zu können. Aus dem eben noch gefeierten Rückenwind wurde jetzt erst ein ekeliger Seiten- und dann immer mehr ein Gegenwind. Spätestens, als die Oder in Küstrin Richtung Nordwesten abbog, wehte es nur noch von vorne. Dort erlebte ich übrigens noch einmal den größten Schreck des Tages, als ich durch einen kleinen Tunnel fuhr und es plötzlich im Dunkeln unter mir laut knallte. Muss wohl ein Abflussgitter gewesen sein, aber im hallenden Tunnel klang es wie ein lauter Schuss. Länger hallte anschließend nur noch mein schreckhafter Schrei durch diese düstere Passage.
Richtig eklig wurde es hinter Küstrin. Hier entfernte sich der Deich und damit der Radweg recht weit von der Oder und folgte fortan einer Landstraße. Völlig dem Wind ausgeliefert immer gen Nordwesten. Vor Kienitz dann erst einmal verschnaufen und die zweite Banane des Tages verschlingen. Die Beine fühlten sich jetzt komplett leer an, der schnelle Hinweg rächte sich spätestens jetzt. Als die ersten E-Biker bereits wieder in Sichtweite sind und mich fast überholen, geht’s wieder aufs Rad. Besser und schneller geht’s leider nicht, ich suche immer noch händeringend nach irgendeiner Art Imbiss oder Café, aber so naturnah wie die Oder ist, so wenig ist sie leider auch besiedelt. In Kienitz dann ein großes Fisch-Restaurant am Hafen gesehen, das aber viel zu überlaufen war. Ernüchternd weiter geradelt und nur wenige Meter auf ein viel hübscheres, aber deutlich leereres Kunst-Café gestoßen.
Links Felder, rechts Fluss
Zwei Stück Kuchen später sah die Welt schon deutlich besser aus und es ging zurück in den Wind. Die Sonne zeigte sich übrigens zwischendurch immer mal wieder, aber die Wolken wurden bisher immer dichter und so wurde nicht nur ich, sondern auch der Tag immer grauer. Zusätzlich stellte sich so langsam Monotonie ein. Immer der gleiche Ausblick – rechts Wasser, links Felder und mal ein paar Höfe. Bisher hatte ich auch leider erst zwei Schiffe auf der Oder entdecken können, mit Shipspotting konnte ich mich also auch nicht ablenken. Ob nun Mosel, Weser oder eben Oder – Flüsse können auch ganz schön langweilig sein.
Für die einzige Abwechslung sorgte dann höchstens der Radweg selbst, der manchmal einfach oben auf dem Deich aufhörte und einen auf den parallel laufenden Weg am Deichfuß schickte. Die paar Auffahrten entpuppten sich dann oft als Sackgasse, weshalb ich dann direkt einfach unten blieb. Das bedeutete zwar weniger Wind, aber auch weniger Ausblicke, im Augenwinkel rechts jetzt nur noch grün. Ab und an blickten die E-Biker stolz von oben auf mich herab, hier müsste der Radweg oben also wieder weitergehen. Es ging aber zunehmend weiter in den Gegenwind und immer mehr nur geradeaus, ich blieb also in meinem kleinen Tunnel am Deichfuß. Auch hier gab’s ab und an wieder zu überholende Radfahrer und ich war froh, meine Klingel dabei zu haben. Auf Rufen hätte ich in diesen Momenten wirklich keine Lust gehabt.
Erst mal zu Netto
Erst in Hohenwutzen bog die Ober wieder Richtung Norden ab. Jetzt gegen Ende noch einmal auf den Deich und die Ausblicke und den guten Wind ausnutzen. Geht doch! Jetzt wäre es nicht mehr weit an der Oder und ich würde für den Rückweg eh erst einmal in den tiefen und windgeschützten Wäldern der südlichen Schorfheide verschwinden. Nur die dunklen Wolken am Himmel ließen mich nichts gutes ahnen. Als ich gerade in Hohensaaten den Oder-Havel-Kanal überquerte und damit die Oder verließ, fing der Nieselregen auch schon an. Erst einmal gar nicht so schlimm und vielleicht gar nicht so verkehrt, um das klebrige Dextro-Zeug vom Rahmen und die Sonnencreme-Staub-Fliegen-Mischung von den Beinen waschen zu können.
Vor Oderberg legte der Regen dann zu und ich rettete mich unters Vordach eines Discounters. Erst mal zu Netto. Das traf sich ganz gut, denn die zwei Stück Kuchen waren schon längst wieder verbraucht. Meine hungrigen Augen kauften natürlich wieder mal mehr als nötig und ich bereitete mir am Rande des Parkplatz erst einmal ein Festmahl. Der Regen war vorbei und mit vollem Magen rollte ich nun besonders schnell nach Oderberg hinab. Nach der rasanten Abfahrt folgte nun leider der zwar wunderschöne, aber auch steile Part aus dem Oderbruch hinauf zurück in den Barnim. Kurze Pause an den Schiffshebewerken und dem zweiten BER Brandenburgs. Der Neubau sollte auch hier schon seit sechs Jahren in Betrieb sein, jetzt peilt man Ende des Jahres an. Immerhin war schon Wasser im Trog.
Belohnende Ausblicke ins Oderbruch
Auf den Teil hinter Niederfinow habe ich mich schon die gesamte Fahrt gefreut, nach dem doch eher ernüchternden Teil an der Oder jetzt nur noch mehr. Hier geht’s für längere Zeit mal an einem Stück bergauf und man erkämpft sich für Brandenburger Verhältnisse einen unüblich hohen und fantastischen Ausblick über das Oderbruch. Passend zur Auffahrt kam auch die Sonne wieder raus. Und auch die Stärkung aus dem Netto zeigte seine Wirkung und es ging trotz der Höhenmeter endlich wieder schneller voran. Dazu drehte der Wind immer mehr auf Nord und bescherte mir nun teilweise eine zweite Runde Rückenwind. Das fühlte sich wie eine verdiente Belohnung an.
Die letzten Kilometer ließen sich dadurch nun wieder ziemlich schnell abspulen. Die Straßen waren teilweise noch richtig nass, hier muss es noch einmal mehr geregnet haben, aber bis auf ein bisschen Niesel hab ich nicht mehr abbekommen. In Tiefensee dann über das Schild zum „kleinsten Sägewerk Brandenburgs“ geschmunzelt und am Ortsausgang dann noch einmal ein interessantes Wildunfall-Schild mit Zähler gefunden, auf dem per magnetischer Ziffern die aktuelle Zahl der Unfälle im Jahr 2019 angezeigt wird. So was bräuchten wir doch mal in Berlin mit der aktuellen Zahl an Fahrradunfällen, die auch dieses Jahr schon wieder viel zu hoch ist.
Extra-Runde auf der Ostkrone
In Wesendahl dann noch ein kurzer Dämpfer in puncto Routenplanung: Hier hat mir Komoot die Strecke über eine 3 Kilometer lange Kopfsteinpflaster-Passage gelegt. Wahrscheinlich, weil ein anderes Mitglied das Stück als „Rennrad-Highlight“ eingestellt hat. Den Hinweis „nicht mit dem Rennrad fahren“ haben dann weder der Komoot-Algorithmus noch ich gelesen. Und ganz aufgepasst hab ich da beim Speichern der Strecke dann auch nicht, ein Blick auf das Straßenbelag-Diagramm hätte ja gereicht. Also zurück auf die Standardstrecke von und nach Eberswalde. Jetzt ging alles ganz schnell. Altlandsberg, Neuenhagen, Schöneiche. Und zack, zurück in der Stadt.
Jetzt war ich fast zurück zu Hause, es fehlten aber noch zwölf Kilometer bis zur 300. Die Beine fühlten sich immer noch gut an, also eine Extra-Runde auf der Ostkrone gedreht, am Ende sogar noch von einem Aeroad-Fahrer im Windschatten „mitgenommen“ worden. Jetzt grüßte übrigens kaum noch jemand. Wieder über die Pop-Up-Bikelane und ab unter die Dusche. Fazit: Hinweg und Rückweg waren super, besonders die Oderbruchbahn. Von Deichen und Flüssen habe ich jetzt aber erst einmal genug gesehen.
Eine Antwort auf „Abstecher auf den Oderradweg“
Schön geschrieben! Hat Spass gemacht, es zu lesen ….. bin froh, dass Du bei unseren kleinen Ausfahrten nicht so viel klingelst 😜