Nach einigen kürzeren und intensiveren Trainingsrunden in den letzten Wochen und dem ein oder anderem bereits längerem Highlight wollte ich jetzt mal so richtig weit weg. Mal ausprobieren, ob ich wirklich schon reif für große Distanzen bin.
Dieser Samstag schien mir dafür perfekt: Der Wetterbericht sagte Sonnenschein, 21 Grad und schwachen Südwind voraus. Von der Windrichtung ausgehend suchte ich mir aus meinem kleinen Strecken-Pool an Highlights, die ich dieses Jahr unbedingt noch schaffen möchte, die Tour zur Müritz heraus. Die Strecke habe ich schon im Winter erstellt. 180km über ruhigere Land-, Kreis- und Fahrradstraßen – immer gen Norden.
Flaues Bauchgefühl
Gute Planung ist das A und O: Ich ging also am Abend vor dem Start nochmal die Strecke durch, suchte Bahnhöfe, von denen ich im Notfall nach Hause kommen könnte. Bereits beim Notieren der Abfahrtszeiten der Züge gingen mir ein paar Gedanken durch den Kopf: Schaffe ich das überhaupt? Oder habe ich mir da für den April etwas viel zu utopisches vorgenommen? Als ich am nächsten Morgen mit meinen gepackten Sachen startete, verstärkte sich dieses flaue Gefühl nur noch. Irgendwie fühlte ich mich schlapp und nicht richtig ausgeschlafen. Bis Hennigsdorf schlich ich mich in einem langsamen Schnitt durch das noch leere Berlin. Als die Sonne dann aber das erste Mal so richtig meine Haut aufwärmte, taute ich auch endlich auf. Kurz vor Velten zog ich Arm- und Beinlinge aus. Dass ich jetzt das erste Mal in diesem Jahr Fahrtwind an meinen Beinen spüren konnte, war wie ein Reset-Button. Alle Gedanken verschwanden und ich konnte endlich richtig losfahren.
Verlassene Straßen
Hinter Velten verschwand dann auch der eh noch geringe Autoverkehr von den Landstraßen. Die Sonne ging weiter auf und die Kilometer verstrichen wie von selbst. Schneller als gedacht ließ ich in Herzberg Kilometer 75 hinter mir und war erstaunt, schon so weit gekommen zu sein. Bisher hat es sich erstaunlich einfach gerollt, mein Puls blieb schön unten und ich konnte die Natur genießen. Bereits seit Velten war die Strecke sehr von Feldern und Waldabschnitten geprägt. Teilweise konnte man gefühlt endlos in die Ferne gucken, mit der typischen Skyline aus Windkraftanlagen. Als ich dann auf eine schmale Straße zum Vielitzsee abbog, war ich erstmals stolz auf meine blinde Streckenplanung: Ich hätte nicht gedacht, dass ich tatsächlich so viele abgelegene und gut asphaltierte Straßen finde. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass in Brandenburg alles, was nicht Autobahn oder Bundesstraße ist, so aussieht.
Wenn Radwege besser als die Straße sind
Hinter Lindow dann das selbe Schauspiel: Ich bog auf eine Fahrradstraße ein – zwar gepflastert, aber das gut befahrbar. Bis Banzendorf schlängelte sich die aus zwei Pflasterspuren bestehende Straße, auf denen Autos sich nicht begegnen dürften, zwischen Feldern, Bauernhöfen und kleinen Hügeln hindurch. Hinter Banzendorf ging es dann sogar kurz etwas steiler bergauf und auch wieder bergab. Hier kam mir übrigens ein Auto mit Paderborner Kennzeichen entgegen – solche Grüße aus der Heimat sind immer eigene kleine Higlights. Nach einigen weiteren Kilometern bog ich hinter einer Siedlung auf eine längere, gut asphaltierte Fahrradstraße durch den Wald. Sehr cool: Autofahrer mussten daneben auf einer Piste fahren, auf der sich Sand und Kopfsteinpflaster als Belag abwechselten. Sonst kennt man das ja nur andersherum. Am Ende der Fahrradstraße war ich direkt an meinem ersten Zwischenziel: Rheinsberg.
Geisterfahrer auf einer RTF
Ein kurzes Foto vor dem Schloss, auf dessen Gelände man Fahrräder übrigens nicht mal mitführen darf, dann ging es schon weiter. Die ersten 100 Kilometer waren jetzt geschafft, und ich fühlte mich immer noch topfit. Über eine Serpentine ging es direkt hinter Rheinsberg auf einen Radweg, der knapp zehn Kilometer lang durch Wald nach Dorf Zechlin führte. Dort dachte ich erst, in eine große Polizeikontrolle geraten zu sein – es waren aber nur Streckenposten an einer RTF oder einem Radrennen. Einige Teilnehmer kamen mir während der Ortsdurchfahrt entgegen und guckten mich verdutzt an. Im einigen Kilometer entfernten Flecken Zechlin überraschte mich dann der schöne Ausblick von der einige Meter höher liegenden Straße auf den schwarzen See – hier gab es sogar eine Aussichtsplattform für Touristen wie mich.
Aus 180 werden 200 Kilometer
Jetzt ging es auf die Landesgrenze Brandenburg – Mecklenburg-Vorpommern zu. Zuerst schlängelte ich mich noch immer an ihr vorbei, dann hinter Zempow überfuhr ich sie unbemerkt. Ich habe mich eh schon die ganze Fahrt gefragt, wo ich gerade bin – keinen Schimmer. Die Dörfer lagen immer weiter auseinander, aber das ist auch in Brandenburg schon so. An der ersten Kreuzung in MV schaute ich aufs Tacho. 130 Kilometer, 50 wären es jetzt noch, gefühlt habe ich erst 20 im Sattel. Ich entschied mich also, auf 200 Kilometer auszudehnen – und so meine erste Tour in dieser Dimension zu machen.
Schon fast am Ziel
In Mirow begutachtete ich zuerst einmal die Schleuse, durch die mein Papa und ich schon einige Male auf unseren Bootstouren zur Müritz gefahren sind. Danach ließ ich es mir zwischen Larz und Rechlin nicht entgehen, endlich mal auf die ehemalige Eisenbahnbrücke zu gehen, bei der ich mich immer schon gefragt habe, warum da Bänke drauf aufgebaut sind. In Rechlin dann ein Mix der Gefühle: Ich konnte die kleine Müritz sehen, war also fast am Ziel. Andererseits war der Weg bisher so schön und ich könnte noch ewig so weiterfahren. Und genau dann das einzige Mal, dass ich von meiner geplanten Strecke abweichen musste: Der Müritz-Rundweg ging in Schotter über. Über andere Straßen ging es dann also nach Röbel, wo ich mir einen leckeren Backfisch auf dem Fischbrötchen-Boot gönnte – ebenfalls bereits eine kleine Tradition von mir und meinem Vater, nur bisher per Boot.
Plötzlich Wind
Ich lag gut in der Zeit, der Ausweitung auf 200 Kilometer stand also nichts im Wege – dachte ich. Der Wind nahm immer mehr zu und wechselte anscheinend auch ein wenig seine Richtung. Das konnte ich bereits kurz vor Röbel spüren. Mit dem nun vollen Magen machte sich der Widerstand aber nochmal mehr bemerkbar. Als ich dann in Sietow Richtung Malchow abbog, um noch etwa 16 zusätzliche Kilometer zu sammeln, spürte ich dann doch die 180 Kilometer in meinen Beinen. Ich war heilfroh, einfach wenden zu können (Mein Garmin sagte mir sogar „Wenn möglich, bitte wenden“) und dann mit Ultra-Rückenwind-Boost die letzten 20 Kilometer nach Waren zu düsen. Ein paradoxes Bild: Mit 35-40 km/h, einem so ruhigen Puls und trotzdem so vielen Kilometern auf dem Tacho.
Endlich und leider am Ziel
Waren kam dann auch schneller als gedacht. Viel Zeit blieb mir jetzt jedoch nicht mehr, um meinen Zug zu kriegen. Es ging also schnell zum Hafen, einmal die Binnenmüritz genießen und ein Foto knipsen. Dann auf zum Bahnhof, mich über die teuren Fahrpreise ärgern (15,20 Euro + 5 Euro Fahrradkarte!) und noch schnell eine kühle Apfelschorle und eine Cola am Automaten ziehen. Zum Glück haben die neuen Regionalexpress-Züge immer Steckdosen, mein iPhone hatte nämlich pünktlich zur Zieleinfahrt in Waren seinen Geist aufgegeben. Ein bisschen traurig war ich dann doch, als ich im Zug saß: Gefühlt hätte ich noch locker bis zur Ostsee weiterfahren können. Aber man soll ja bekanntlich dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Und das war sicherlich nicht die letzte Müritz-Tour, die ich gemacht habe.